„Mutige Indizienkette rund gemacht“

Im Düsseldorfer Kurdenprozeß gegen PKK-Anhänger wird in Kürze die Urteilsverkündung erwartet / Verteidiger kritisieren 129a-Konstruktion und Manipulationen durch die Bundesanwaltschaft / Freispruch gefordert  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Wenn Rechtsanwalt Joachim Bremer in seinem Plädoyer vor dem 5. Strafsenat des Düsseldorfer Oberlandesgerichts über die Bundesanwaltschaft redet, dann kommen ihm bitterböse Assoziationen über die Lippen. Nein, diese Ankläger seien „als Wächter eines rechtsstaatlichen Verfahrens“ etwa so geeignet, „wie Dracula als Chef einer Blutbank“. Deshalb könne er mit der Kritik von Oberstaatsanwalt Dieter Anders, der den Verteidigern im Düsseldorfer Kurdenverfahren vorgeworfen hatte, die Strafprozeßordnung „systematisch mißbraucht“ zu haben, sehr gut leben. Bremer wörtlich: „Ein Lob der Bundesanwaltschaft hätte uns mißtrauisch gemacht.“ Und dann wirft er den beiden Karlsruher Anklagevertretern in dem hochgesicherten Prozeßbunker noch ein Mao-Zitat hinterher: „Wenn der Feind uns lobt, haben wir etwas verkehrt gemacht.“

Dieses Zitat verrät alles über die Atmosphäre in diesem Prozeß. Hier treten „Feinde“ gegeneinander an und nicht unterschiedliche Rollen ausfüllende Organe der Rechtspflege. Vom ersten Tag an zog sich ein Vorwurf wie ein roter Faden durch alle Verteidigererklärungen: Der Prozeß diene der Bundesanwaltschaft ausschließlich dazu, „den legitimen nationalen Befreiungskampf der PKK in einem Mammutschauprozeß über den 129a als ,terroristisch‘ zu kriminalisieren“. Das wiederum wies die Bundesanwaltschaft als Ablenkungsmanöver von den „kriminellen Handlungen der Angeklagten, die keine heroischen Freiheitskämpfer sind, sondern Kriminelle, die andere umbringen, die nicht ihre Meinung teilen“, zurück.

Daß sich die Bundesanwaltschaft mit dem Mammutprozeß verhoben hat, weist schon allein die Einstellungsquote (s.u.) aus. Stoff für die Verteidigerschelte bot der Prozeß reichlich. Der im Laufe des Verfahrens abgelöste Oberstaatsanwalt Senge hatte die Anklage selbst als „eine mutige Indizienkette“ bezeichnet, die durch die Aussage des Kronzeugen Ali Cetiner erst „rund“ geworden sei. Dieser von der Verteidigung als „gekaufter und manipulierter Zeuge“ gescholtene frühere hohe PKK- Funktionär spielte in dem Verfahren eine zentrale Rolle. Als erster Angeklagter der Bundesrepublik kam Ali Cetiner im März 1990 in den Genuß der rechtlich und politisch äußerst umstrittenen „Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten“. Das Berliner Landgericht gewährte Cetiner seinerzeit einen großzügigen Kronzeugenbonus. Statt lebenslang bekam der als Mittäter an der Ermordung von Murat Beyrakli überführte Cetiner nur eine fünfjährige Haftstrafe.

Während Verteidiger Joachim Bremer den Beweiswert dieses Kronzeugen in seinem Plädoyer als „gegen Null“ tendierend einstufte, sprach Anders davon, daß an dem Wahrheitsgehalt der Kronzeugenaussage „kein vernünftiger Zweifel“ bestehe. Das Berliner Landgericht hatte in seiner Urteilsbegründung den Zeugen noch so gewürdigt: Cetiner sei „schwach begabt, grenzdebil, wollte hoch hinaus und war dabei hoffnungslos überfordert“. Ohne diesen Kronzeugen, den die Bundesanwaltschaft selbst als „wesentliches Beweismittel“ einordnete, wäre der Anklage allein die „mutige Indizienkette“ geblieben.

Indizien, die die Verantwortung der PKK-Führungsebene für den mörderischen Terror gegen Parteiabweichler und Funktionäre von Konkurrenzorganisationen nahelegen, gibt es in der Tat. So ist in beschlagnahmten Protokollen des europäischen Zentralkomitees (ZK) der PKK immer wieder von Aktionen gegen Menschen und Gruppen die Rede, die „die Parteilinie bedrohen“. Über die Anhänger des Parteidissidenten „Semir“ (siehe untenstehenden Artikel) heißt es etwa in einem ZK-Protokoll aus dem Jahr 1987, daß die Gruppe „infolge eines langjährigen Kampfes beseitigt worden“ sei. Und in einem Protokoll der Bielefelder PKK-Gebietsführung wird über Personen berichtet, „die an erster Stelle vernichtet werden sollen“. Die Ausführung solle „konspirativ“ erfolgen. Daß die noch verbliebenen vier Angeklagten an solchen „Aktionen“ massiv beteiligt waren, steht für die Bundesanwaltschaft, die in drei Fällen lebenslänglich gefordert hat, fest. Cetiner will als früheres ZK- Mitglied entweder von den Angeklagten direkt oder über Dritte von deren Mittäterschaft gehört haben. Glaubt man Cetiner, dann war der Angeklagte Ali Aktas einer der Mörder von Murat Beyrakli.

Am 3. 7. 1987 stellte die Polizei in einer Gießener Wohnung einen handschriftlichen Brief sicher, der von Ali Aktas stammen soll. Darin wird der mißglückte Mordversuch an Mehmet Bingöl ebenso angesprochen, wie der Mord an Zülfü Gök und eine „erfolgreich abgeschlossene Sache“, an die der „flüchtige Opportunist Cetiner“ sich werde erinnern können. Für die Bundesanwaltschaft ist damit der Mordfall Beyrakli gemeint. Der Autor des Briefes schildert weiter, daß er den Auftrag, den „Provokateur Bingöl“ umzubringen, von einem „Freund“ bekommen habe. Dieser „Freund“, ist nach Auffassung des Gerichts identisch mit dem Angeklagten Hasan Güler. Kronzeuge Cetiner will das von Güler selbst erfahren haben. Auf dem Brief wurden Fingerabdrücke von Aktas gefunden. In einem BKA-Schriftgutachten wird Ali Aktas „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ als der Autor des Briefes bezeichnet. Verteidiger Bremer bewertet das Schriftgutachten als „nicht beweiswürdig“. Die Fingerabdrücke rührten daher, daß seinem Mandanten das Schriftstück in der Zelle zur Identifizierung in die Hände gedrückt worden sei. Daß sein Mandant mit diesem Mordversuch „nichts zu tun hatte“, ergibt sich für Bremer schon daraus, daß Bingöl, der heute an unbekanntem Ort in Schweden lebt, Ali Aktas auf Fotos nicht erkannt hatte. Von der Bundesanwaltschaft war diese Bildvorlage zunächst gänzlich verschwiegen worden. Wie das Gericht solche von der Verteidigung aufgedeckten Manipulationsversuche letztlich werten wird, steht dahin. Für Ali Aktas und Hasan Güler beantragten die Verteidiger Freispruch.