piwik no script img

Aktuelle Hanswurstiade

Das IX.Theater-Spektakel in Magdeburg zeigt in der „Abschiedstrilogie“ von Oliver Bukowksi, wie die Ossis versuchen, sich selbst zu exorzieren  ■ Von Dirk Nümann

Am Anfang war die Frau. Ihre verhärtete Stimme füllt den Theaterraum, der ein Lazarett ist. Penetrant redet sie zu ihrem todkranken Stasi-Mann über die neue Wendewelt und die alten Denunziationen, über den pornoguckenden Nachbarn, das lustige Walzertanzen, den enttäuschenden Jungen und die Äpfel, die immer geschält, aber nie gegessen werden. Er, der verdächtig einer beschädigten Plastikpuppe ähnelt, schweigt unterdessen, ißt keine Äpfel und konzentriert sich ganz aufs Sterben – was gelingt.

Kein schöner Tod, doch so beginnt die „Abschiedstrilogie“ an den Freien Kammerspielen zu Magdeburg. Das „vielleicht letzte Osttheater“ widmet sich dem morbiden Lebensgefühl der Ostler, die nun Westler werden, also Abschied nehmen von sich selbst; die die Begriffe wechseln wie schmutzige Unterwäsche. Oliver Bukowski ist der Saubermann, dessen drei Stücke im achtstündigen „Spektakel“ diesen Exorzismus fassen sollen. Er hat gute Voraussetzungen: 1961 in Cottbus geboren, studierte er Sozialwissenschaft und ist mehrfach als Spezialist für die Gesellschaftskomödie als Zeitstück hervorgetreten. Wie ein Experimentator steckt Bukowski Probanden – kleine Leute – in dramatische Versuchsanordnungen, überfordert sie auf einer tückischen Wegstrecke gesellschaftlicher Veränderungen, läßt sie straucheln, sich die Nase blutig stoßen. Ihr Scheitern garantiert Vergnügen.

Das gelingt im Eröffungsstück des Abends: „Die Halbwertzeit der Kanarienvögel“. Eine Frau redet verzweifelt um ihr DDR-Leben, versucht, sich aus der Geschichte herauszuquatschen, und versackt immer tiefer darin. Statt zur reinigenden Beichte wird ihr Monolog so zum schmuddeligen Schuldbekenntnis.

Das Stück von Bukowski und die Inszenierung von Klaus Noack sind schon viele Monate alt. Und das merkt man. Es formuliert Reminiszenzen an die Wendezeit, die mittlerweile etwa so entlarvend sind wie die Frage: „Was hast du gemacht, als die Mauer fiel.“ Erinnerungen, die man nur hervorkramt, um sie endgültig zu begraben – Abschied vom Abschied an die DDR.

„Londn–L.Ä.–Lübbenau“, der „Hardcore-Schwank in Lausitzer Mundart“, ist da schon einen bedeutenden Schritt weiter: Die Wende wurde bereits erfolgreich verdrängt, die Helden, das Ehepaar Gretschke, träumen in westlichen Dimensionen. Doch statt des erhofften Gewinns im Lotto folgt der Verlust der Arbeit. Daraufhin macht er die Garage zum Getränkeshop und dann Pleite. Sie dreht den Gashahn auf und bemerkt nicht, wie die Lottofee ihnen posthum sechs Richtige verkündet.

Das Stück erzählt in mümmelnder Mundart unverschämt Banales: von Mann und Frau, die nicht anders können als sich lieben, auch oder gerade weil sie beide so erstaunlich dumm sind, daß sie noch nicht mal merken, wie erstaunlich dumm sie sind. Deswegen ist es nicht überraschend, wenn Klaus Noack dem Drama den Realismus austreibt, die Gretschkes in weißen Anzügen zu müden Clowns macht. Und geradezu obszön ihre Dumpfheit ausstellt, aber so immerhin den Ossi als komische Figur entdeckt.

Kein schöner Tod auch hier. Die Akteure geben ihr ganzes Ossitum wie Lumpen in die Altkleidersammlung, ohne ein neues Tum zu haben und stehen am Ende nackt da.

Dergleichen könnte den Bürgern in „Intercity“ nicht passieren. Sie ahnen, daß es mit zahmer Anpassung nichts zu holen gibt. Greifen aktiv in ihre Zukunft ein, planen mordlüstern, den Intercity in ihrem verlassenen Nest entgleisen zu lassen. So könnten sie als Retter erst in die Schlagzeilen und später in die Geschichte zurückkehren.

„Eine zeitgenössische Hanswurstiade“, nennt Bukowski das jetzt urinszenierte Werk auf der ersten Seite – die das Beste am ganzen Stück ist. Das restliche Papier ist ihm wohl in den Tuschkasten gefallen, so grell sind die Dialoge auskoloriert, so mühselig werden fluchen, saufen, ficken immer wieder variiert. Und schmerzlicherweise setzt Klaus Noack noch eins drauf, läßt ein lärmendes Blut- und Kotzpanorama vorbeiziehen: Intercity als Geisterbahn. Die Uraufführung als sicherer Tod eines Stückes.

Kein großes Finale also für die Freien Kammerspiele in Magdeburg. Überhaupt glänzte das Spektakel diesmal eher dramaturgisch als künstlerisch. Aber immerhin. Mit sehr vergänglichen Zeitstücken wurde uns vor Augen geführt, wie rasant die Menschen sich ummontieren lassen. Wie alle hektisch Abschied nehmen – ohne zu wissen, wohin die Reise gehen soll. Ganz Deutschland ein großer Kopfbahnhof. Nur eins steht fest: Weitergehen muß es.

Spektakel IX: „Abschiedstrilogie“ von Oliver Bukowski. Regie: Klaus Noack; mit Katrin Stephan, Gerda Haase, Jörg Dathe,Thomas Dehler, Franziska Kleinert, Maria Brendel u.a. Nächste Vorstellung: 11.2. Freie Kammerspiele Magdeburg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen