: Begriffe auf den Kopf gestellt
■ betr.: „Ein bürgerlicher Schwu ler“, taz vom 29.1.94
Daß der französische Schriftsteller Yves Navarre einzuordnen ist in die Kategorie des „bürgerlichen Schwulen“, mag angehen, ebenso wie Michel Tournier und Dominique Fernandez. Daß aber deren Streben „nach Einbindung, ja Repräsentanz“ als Akt der homosexuellen Emanzipation zu verstehen ist, stellt dann doch die Begriffe auf den Kopf. Vor allem, wenn sie aufgewertet werden in denunziatorischer Abgrenzung zu „schrillen Pausenclowns“, dem „Bürgerschreck“ und jenen „in Opposition zur Gesellschaft“, denen sie als „gebildete Leute“ gegenüberstehen, als Betreiber einer „sanften Revolution“.
Das paßt in diese Zeit, in der ein F.J. Raddatz als Vorkämpfer einer homosexuellen Emanzipation deklariert wird, wie es unlängst ein Leserbriefschreiber im Schwulenmagazin Magnus formulierte. Und es paßt in diese Zeit, in der Schwule den Gang zum Standesamt als politische Aktion begreifen. Ohne Zweifel, die Schwulen der neunziger Jahre werden homophil.
Daß die taz diesen Integrationisten schon seit längerem als publizistisches Forum dient, ist nicht unbedingt als bewußte Entscheidung der Zeitungsmacher zu unterstellen. Schlimmer noch, es beweist lediglich ihre Unfähigkeit zu differenzieren. Da steht ein Schwuler für alle, egal ob links ob rechts, wer mag da schon genauer hinsehen? Da riskiert die linke taz nichts weiter als den bürgerlichen Blick auf die amorphe Masse bemitleidenswerter, unterdrückter Homosexueller, denen man beiseite stehen muß, selbst wenn sie politisch reaktionär daherkommen bis zum Anschlag. Elmar Kraushaar, Berlin
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