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„Macht Auschwitz auf! Juden müssen brennen!“

■ Im November 1992 wurde ein 53jähriger von Skins in einer Wuppertaler Kneipe mit Schnaps übergossen und angesteckt / Tatmotiv: Der Mann war Jude

Wuppertal (taz) – „Ich war immer gegen Gewalt“, beteuert Marian G., „für mich war jeder Mensch gleich. Ich bin christlich eingestellt.“ Der 32jährige Wirt der Wuppertaler Skinhead-Kneipe „Laternchen“ muß sich nun zusammen mit den beiden Skinheads Andreas W. (26) und Michael S. (18) vor dem Wuppertaler Landgericht wegen Mordes verantworten. Alle drei sollen am 12. November 1992 den 53jährigen Karl Hans R. zu Tode geprügelt, getreten und gefoltert haben.

Marian G. war erst vor fünf Jahren aus Polen nach Deutschland gekommen, hatte einen Asylantrag gestellt. Später konnte er Dokumente beibringen, die seine deutsche Abstammung belegten und bekam damit die Eintrittskarte für den Westen, von dem er schon immer geträumt hatte.

Ein Hamburger Lokal mit Rock und Oldies hatte es ihm angetan. Sowas wollte er auch aufmachen. Das „Laternchen“ in Wuppertal sollte der Anfang sein. Aber mit dem Publikum kam der Mann aus Polen nicht klar. „Die erste Frage an mich war immer: ,Woher kommst du?‘“ Und die Reaktion auf die Antwort immer wieder: „Polacke!“ Er fühlte sich machtlos gegen die Clique, die sich im „Laternchen“ bis zum Umfallen besoff und dabei ihre „Oi-Musik“ dröhnen ließ: „Störkraft“, „Werwolf“ und „Böhse Onkelz“. Seine missionarischen Versuche werden als „Jesus-Gelaber“ abgetan. Keiner nahm ihn ernst.

An jenem 12. November sieht Marian G. eine Chance, sich bei seinem Publikum beliebt zu machen: An der Theke sitzt der Metzger Karl Hans R., genannt „Charly“. „Charly“ hat eine „Tour“ drauf: Er erzählt jedem gern, seine Mutter sei Jüdin gewesen und unter den Nazis umgekommen. Offenbar spendiert man ihm dafür hin und wieder ein Bier.

An diesem Abend hat „Charly“ tödliches Pech. Gegen halb zehn betreten die beiden Skinheads die Kneipe. Andreas W., 26, ein Brocken von 110 Kilo, und sein 18jähriger Freund Michael S., auch ein Zweizentnermann, beide im Fascho-Outfit von der Glatze bis zu den „Rangers“-Stiefeln mit Stahlkappen und weißen Schnürsenkeln.

Nach Schlägen und Tritten zündeten sie „Charly“ an

„Da sitzt ein Jude!“, sagt der Wirt zu ihnen. Aber Andreas W. nimmt ihn wie immer nicht ernst: „Hör auf mit dem Quatsch, wir wollen feiern!“ Sie trinken viel und reden über eine geplante Grillfete. Metzger „Charly“ bietet sich an, billiges Fleisch zu besorgen. Nach diversen Bieren und etlichen Gläsern „Sambucca“ fordert „Charly“ den 26jährigen zum Wettsaufen heraus – ein „Sport“, in dem Andreas für seinen Motorradklub schon mehrere Pokale gewonnen hat. Eine Flasche „Johnnie Walker“ kommt auf die Theke. „Charly“ will seinen Gegner foppen: „Ich bin schneller als du, Dicker!“ – Andreas: „Da hab' ich ihm eine geklatscht“.

Der 53jährige fällt vom Barhocker. Andreas kommt erst richtig in Fahrt und traktiert den Liegenden mit Stiefeltritten. Der 18jährige Michael, der ihm folgt wie ein gehorsamer Hund, macht sofort mit. Da läßt der Wirt – „im Scherz“, wie er später beteuert – den Satz fallen: „Macht Auschwitz wieder auf! Juden müssen brennen!“ Und Andreas macht es wahr, greift zur Sambucca-Flasche und kippt den Schnaps über „Charly“. Sofort zündet Michael ihn an. Karl Hans R. wälzt sich stöhnend am Boden. Als der Schnaps verbrannt ist, stinkt es ekelhaft in der Kneipe.

Keiner der drei will später verantwortlich sein für das Folgende: Statt sich um Hilfe für den schwer, aber noch nicht lebensgefährlich Verletzten zu bemühen, fährt Marian G., der keinen Alkohol getrunken hat, mit den beiden Skins nach Holland. „Charly“ wird auf den Rücksitz gelegt, Michael setzt sich auf seinen Körper. Die beiden haben weit über drei Promille und dösen immer wieder ein. Sie wollen sich gerade noch erinnern, unterwegs mehrmals mit den Köpfen zusammengestoßen zu sein. Marian G. behauptet dagegen, er sei von dem aggressiven Andreas zu allem gezwungen worden: „Ich stand unter Schock!“ An einem Waldweg bei Venlo legen sie „Charly“, dessen Brustkorb inzwischen unter dem Gewicht von Andreas zerbrochen ist, einfach ab. Geben ihm noch seinen Aktenkoffer in die Hand. Der inzwischen Tote trägt nur noch Teile seiner verbrannten Kleidung. Es ist drei Grad über Null. Als die drei nach Wuppertal zurückkommen, wird es schon hell.

15 Jahre Freiheitsstrafe für Andreas W., 13 Jahre für Marian G. und acht Jahre Jugendstrafe für Michael S. hat der Staatsanwalt am 3. Februar gefordert. Der Verteidiger von Marian G. stellt seinen Mandanten als Opfer hin: Er sei von den Skins gezwungen worden. Der Anwalt von Andreas W. beruft sich auf dessen Vollrausch, und der von Michael S. auf die psychische Unreife seines Schützlings.

Einig sind sich die Vertreter von Anklage und Verteidigung, daß der Mord an Karl Hans R. „keine antisemitischen Motive“ hatte. Der Vorsitzende Richter Rolf Schulz hatte dagegen von Anfang an erklärt, dies könne man auch anders beurteilen. Er wird das Urteil seiner Kammer heute in Wuppertal verkünden. Julius Simon

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