piwik no script img

Operativ eingreifen

■ Schauspielhaus und Berliner Volksbühne planen Zusammenarbeit / „Frau vom Meer“ als erstes Gastspiel

In schweren Zeiten beginnen Frank und Frank zwischen Berlin und Hamburg zarte Bande zu knüpfen: Frank Baumbauer, Intendant des Schauspielhauses an der Kirchenallee, und Frank Castorf, Intendant der Volksbühne. Mit dem Austausch von Gastspielen und ab der nächsten Spielzeit auch mit Koproduktionen soll der ideelle Anspruch des Zusammenhaltens und -wirkens seine praktische Umsetzung erfahren. Gestern stellten Baumbauer und Castorf die Pläne ihrer Zusammenarbeit und das erste Gastspiel der Volksbühne, die Castorf-Inszenierung von Ibsens Frau vom Meer vor.

Sehr weit holte Castorf in seiner Einleitung aus: In die Geschichte der Volksbühne, die zeit ihres Bestehens ein Ort war, um „operativ in die Zeit einzugreifen“, und die derzeitige Situation der Stadt Berlin, die das Gesicht und das Geschehen in der Volksbühne präge. Derzeit ist das Haus belagert von einigen Obdachlosen und von Wagenburglern, die zuvor von der Polizei vom ehemaligen Grenzstreifen geräumt worden waren. „Wir gelten als Sozialrevolutionäre“, erklärt sich Castorf die Lage, die „nicht nur einfach, aber ganz spannend“ sei und die Aufgabe beinhalte, sich akklimatisieren zu müssen, eine menschliche Fähigkeit, die besonders auch in Ibsens Frau vom Meer angesprochen werde.

Die Inszenierung, die am 10. Dezember in Berlin Premiere hatte, bewege sich sehr nahe an Ibsens Geschichte von Ellida Wangel, die - eine Versorgungsehe mit einem Arzt führend - von ihren Sehnsüchten nicht lassen kann und von ihrer Affäre mit einem Seeman träumt. Als dieser tatsächlich eines Tages aufkreuzt, bleibt sie schließlich doch bei ihrem Gatten, der ihr die Wahl läßt. Es sei leider eine „sehr lange Inszenierung“, ergänzt Castorf schmunzelnd. Bis zur Pause zweieinviertel Stunden, und danach, naja, das komme auf die Darsteller an. Wenn dem Oberlehrer Arnholm alias Herbert Fritsch das Publikum nicht gefalle, dann zöge er das Spiel gerne mal um eine dreiviertel Stunde in die Länge.

Gegen jede Art der Selbstaufgabe biete Ibsen zum Durchhalten „jede Menge Material“. Um die „Konventionalität des Geschich-tenerzählens“ zu lindern, spielen drei Obdachlose mit, deren Artikulation dem Publikum zunächst etwas seltsam scheinen dürfte. In der kommenden Spielzeit wird die Kooperation Volksbühne/Schauspielhaus mit der Koproduktion eines Tanztheaterabends von Johann Kresnik, den Castorf aus Bremen an sein Haus holte, fortgesetzt.

Julia Kossmann

„Die Frau vom Meer“, Schauspielhaus, 25., 26. 2., und 16., 17. 3., der Vorverkauf hat begonnen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen