piwik no script img

SanssouciVorschlag

■ Studentenaufführung von Oskar Panizzas "Liebeskonzil"

Foto: Erik Schiemann

Vor 100 Jahren schrieb Oskar Panizza das „Liebeskonzil“. Ein Jahr Einzelhaft lautete das gerichtliche Urteil gegen den in München lebenden Schriftsteller. Später wurde Panizza entmündigt, seine Stücke standen regelmäßig auf dem Index: Im Kaiserreich galt ein „Engelssturz“ als politischer Umsturzversuch. Das „Liebeskonzil“ nämlich handelt von der abgewrackten göttlichen Familie, die ob des lüsternen Treibens auf Erden zu Zeiten des Papstes Alexander VI. am Ende ihres Lateins angelangt ist und den Teufel zu Rate zieht. Der schickt – eine Anspielung auf Hutters moralisierende Theorie – seine attraktive Tochter als Trägerin tödlicher Geschlechtskrankheiten auf die Erde. Auch wenn Panizzas freizügiger Umgang mit göttlichen Würdenträgern heute kaum mehr einen Skandal verursachen könnte, so bleibt das „Liebeskonzil“ ein bissiges, höchst komisches, aber auch düsteres Werk mit noch immer aktuellem Inhalt, wenn man an die Aids-Ansichten des heutigen Papstes denkt.

Bei Thomas Reisinger, dem Regisseur des „Liebeskonzils“ im Fliegenden Theater, geht's im Himmel ungefähr so zu wie in einer Kreuzberger Familie: Gott, ein greinender und furzender Tattergreis in Wollsocken, ist völlig genervt von seinem asthmatischen Softiesohn im Spät-Beatles-Look und der genauso machthungrigen wie zickig-eitlen Maria. Wunderschöne Slapstick-Szenen entwickeln sich, garniert von frechen Dreingaben der Engel. Maria beispielsweise stellt Gott lichtchoreographisch in den Schatten und stopft sich gierig den Leib Christi, pardon: den Laib Brot in die Hamsterbacken. Christus zitiert unablässig kitschige Bildnisse seiner selbst, autistische Engel leiern ein gnadenlos tirolerisches „Muttergottesbittfüruns...“ herunter. Dem Wiener Off- Regisseur gelang hier mit den Schülerinnen und Schülern des Maria-Körber-Schauspielstudios eine so phantasievolle wie präzise Aufführung, die Panizzas Ironie aktualisiert. Veraltete Szenen vom Hof des Papstes Alexander VI. ersetzte der Regisseur durch einen Live-Bericht über den 1986er Deutschlandbesuch des derzeitigen Papstes. Spielerisch transportiert die Inszenierung kirchlichen Prunk in moderne Kitschästhetik. Ein besonderer Augenschmaus: die Kostüme. Die Engel stecken in giftgrünen Tüllanzügen mit Daunenfedern, göttliche Keuschheit wird in sinnliches Lackleder verpackt. In solchem Kontext sind kleinere schauspielerische Schwächen allemal verzeihlich. Petra Brändle

Morgen bis 13.2., 20.30 Uhr im Fliegenden Theater, Hasenheide 54, Neukölln.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen