: Der Sidathon
■ Nationaler Themenabend in Frankreich: Kommerzielle und öffentliche Sender gemeinsam und werbefrei gegen Aids
Zappen wird überflüssig. Jedenfalls in Frankreich, einen ganzen Abend lang und aus gutem Grund. Denn dort werden sich sämtliche Fernsehstationen des Landes sowie der überseeischen Departements von 20.30 Uhr bis Mitternacht zu einem „Sidathon“, einem Fernsehabend über Aids (französisch Sida), synchronisieren. Die Weltpremiere wird am 7. April stattfinden.
Über Konkurrenzdenken und Quotenjagd hinweg wollen die privaten und die öffentlichen Sender ein Gemeinschaftsprogramm ohne Werbeunterbrechungen und Sponsoring gestalten. Damit verzichten die Sender auf rund 25 Millionen Francs an Werbeeinnahmen. Selbst ansonsten einschlägig aktive Unternehmen wie etwa der Pulloverkonzern Benetton oder der Kondomproduzent Durex sollen, so meldet das neue Blatt InfoMatin, höchstens großzügige Anti- Aids-Geldspenden beisteuern dürfen.
Das Motto des nationalen Themenabends folgt den Initialen des Kürzels Sida: S wie Solidarität, I wie Information, D wie (frei übersetzt) Durchblick, A wie Amour (Liebe). Damit will man dreierlei erreichen: die Aids-Forschung unterstützen, das Bewußtsein der Bevölkerung in Sachen Prävention fördern und zur besseren sozialen Integration von Aidskranken beitragen. Konkret soll darüber hinaus möglichst eine halbe Milliarde Francs (180 Millionen Mark) an Spenden zusammengetrommelt werden. Geld, das angesichts spärlicher staatlicher Mittel und knapperer Kassen bei privaten Hilfsorganisationen überlebensnotwendig ist; jeweils eine Hälfte des Spendenaufkommens werden Aidspatienten und Forschungsprojekte erhalten.
Den TV-Pakt besiegelten die Chefs der staatlichen Stationen France 2, France 3 und M 6 sowie des Pay-TV Canal + und des Kommerzkanals TF 1 auf einem „Jalta des Fernsehens“ (InfoMatin) Mitte Januar. Seither macht das Thema jenseits des Rheins fast täglich Schlagzeilen.
Der deutsch-französische Kulturkanal arte, der in seiner kurzen Vergangenheit bereits mehrfach Sida-Themenabende gesendet hatte, von M 6-Direktor Jean Drucker aber als „nicht erwünscht“ zunächst ausgeklammert wurde, ist nach einem Protest- Kommuniqué von arte-Präsident Jérôme Clément nun ebenfalls mit von der Partie. Bei arte grübelt man zur Zeit allein über dem moralisch-technischen Problem, wie der Eindruck zu vermeiden sei, daß Frankreich die große Hälfte der arte-Zuschauer nicht-französischer Nationalität „anschnorre“.
Die mediale Mobilisierung gegen Aids kommt nicht von ungefähr. Frankreichs Blutkonserven- Skandal, früher aufgeflogen und größer als hierzulande, ist wegen laxer Strafverfolgung in den oberen Etagen von Wirtschaft und vor allem der Politik nicht nur bei den Geschädigten unvergessen. Da stand es dem französischen Gesundheitsministerium gut zu Gesicht, dem Drängen renommierter Anti-Aids-Vorkämpfer wie der Sängerin Line Renaud Gehör zu schenken.
Die sozialen Aspekte interessieren kaum
Renaud, Vorsitzende der Vereinigung „Künstler gegen Aids“, war bereits vor drei Monaten zusammen mit Aidsforscher Luc Montagnier im Gesundheitsministerium vorstellig geworden: Seit Jahren stoße man bei den Medien mit der Forderung nach systematischer, wirkungsvoller Öffentlichkeitsarbeit auf taube Ohren. Fachjournalisten wie der Arzt Jean-Daniel Flaysakier, beim staatlichen France 2 für Gesundheitsthemen tätig, kritisieren denn auch, daß es „seitens der Hierarchie eine Zensur gibt. Die klassische Medizin- Recherche oder das Wundermedikament gehen als Thema gerade noch durch. Die sozialen Aspekte der häßlichen Krankheit interessieren kaum. Das ist ja nicht spektakulär.“
Während das Gesundheitsministerium noch mit Sondierungen bei den Fersehchefs befaßt war – so das Fachlatt TVsd –, machte Anfang Dezember ein anderer anerkannter Pionier im Kampf gegen Aids, Pierre Bergé, in den Spalten der Wochenzeitung Globe Hebdo Druck für den Sidathon.
Radios und Presse steigen ein
Dem schloß sich der jetzige Superdirektor der staatlichen Téléfrance (France 2 und France 3), Jean- Pierre Elkabbach, auf der vielgehörten Radiofrequenz Europa 1 an. Schließlich beflügelte der jüngste Appell des Chefs der Weltgesundheitsorganisation WHO, Hiroshi Nakajima, weltweit die materiellen und ideellen Anstrengungen gegen Aids entscheidend zu verstärken, in Paris die Neigung zum nationalen Gleichklang.
Das Gesundheitsministerium befand nunmehr, es sei ein Skandal, daß das Fernsehen nichts mehr gegen Aids unternehme. Die vereinzelt ausgemachten Projekte bei drei Sendern, darunter ein bereits für den 25. Februar fest eingeplantes „Special“ beim privaten TF 1, müßten zusammengebracht werden. Damit folgte die Behörde Professor Montagnier, der nachdrücklich gefordert hatte, dieses Aids-Special von TF 1 gleichzeitig auch auf den anderen Kanälen ausstrahlen zu lassen.
Die sechs Sender haben inzwischen eine Sidathon-Kommission gebildet und Verantwortlichkeiten unter sich aufgeteilt. In wöchentlichen Sitzungen wird an der Abstimmung des Sidathon-Programms gearbeitet. Der Kooperationsbeschluß der TV-Sender bewirkte, daß jetzt alle mitmachen wollen: Banken, die staatliche Lotterie PMU, die staatliche Sozialhilfekasse Mutualité, Radios, Printmedien.
Weitergedacht hat der Herausgeber der Programmgazette Télé 7 Jours. Er regte an, daß sämtliche Programmblätter und TV-Beilagen in der Woche vor dem Sidathon ebenfalls Aids zum Schwerpunkt machen sollten. Damit könne man eine Gesamtauflage von über 18 Millionen Exemplaren in den Dienst der gemeinsamen Sache stellen. Ulla Küspert
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