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„Die wollen großartig Satanisten sein“

Drei Jugendliche aus dem thüringischen Sondershausen, Anhänger eines Teufelskults, haben ihren Mitschüler Sandro Beyer erdrosselt / Die taz sprach mit den Eltern des Opfers  ■ Von Bascha Mika

Sie lockten ihn in den Wald, fesselten ihn an einen Stuhl, knebelten ihn und erdrosselten ihn langsam mit einem Stromkabel. Sandro Beyer war 15, als er starb, seine Mörder zwei Jahre älter. Seit Jahren hatten sich die drei Gymnasiasten aus Sondershausen gerühmt, Teufelsanbeter zu sein. Sie feierten schwarze Messen, spielten Black- Metal-Musik mit ihrer Band „Absurd“, machten lukrative Geschäfte mit indizierten Horror-Videos und produzierten selbst einen Blut-und- Gewalt-Streifen. Nach dem Verbrechen im April letzten Jahres sprachen Polizei und Medien von einem Ritualmord: Sebastian S., Hendrik M. und Andreas K. sollen Sandro am Vorabend der Walpurgisnacht dem Satan geopfert haben. Auch die Eltern des Jungen – der Vater ist Elektromonteur, die Mutter arbeitslose Verkäuferin, beide sind in der evangelischen Gemeinde aktiv – vermuten okkulte Praktiken als Tatmotiv. Doch Briefe des Opfers und das Geständnis eines der Täter verweisen auf andere Antriebe: auf die Rachegefühle von Jungmännern, die sich in ihrem Narzißmus verletzt fühlten und auf die krankhafte Sucht, Gewalt und Macht am lebenden Objekt auszuprobieren.

Sandro Beyer wird aus Briefen an einen Freund zitiert. Die Äußerungen von Sebastian S. stammen aus seinem Geständnis, das er vor Gericht widerrufen hat.

Sandro: Hier in Sondershausen gibt es eine Black-Metal-Band namens ABSURD! Diese Leute (drei siebzehnjährige Schüler, ein Manager von 21 Jahren) haben so 'nen Kult betrieben. Das war so'n Mischmasch aus Voodoo-Cult, alten indianischen und skandinavischen Ritualen. Wollten mich dann nicht mehr dabei haben, weil ich „zu hell“ sei, „nicht böse genug“.

Vater Peter Beyer: Es fing damit an, daß Sandro seinen Namen mit umgekehrten Kreuzen geschrieben hat und ein Tuch mit aufgedruckten Pentagrammen trug. Es war schwer, mit ihm zu reden. Man konnte es ja nicht einfach verbieten. Wir sind in dieser Hinsicht öfter aneinandergeraten.

Mutter Cornelia Beyer: Er war ein relativ lebhafter, kontaktfreudiger Junge. In der Schule flog ihm alles zu. Später wollte er Informatik studieren. Erst als er mit der Gruppe in Kontakt kam, wurde er in der Schule schlechter. Aber er hat nie versucht, gegen seine Eltern vorzugehen. Zu Hause war er eher sanft wie ein Mädchen.

Sandro: Ich hab mich mit dem Sinn des Satanismus auseinandergesetzt (habe es versucht). Aber langsam weiß ich nicht, ob ich diese Religion vollkommen annehme. Wahrscheinlich nicht, es gibt zu viele Widersprüche zu meiner Gesamteinstellung ... Das mit den Leuten hat mich irgendwann mal total fertig gemacht. Schließlich hab ich mich ja 'ne ganze Zeit mit denen abgegeben und hab fast dazugehört. Die haben mich fast zum Selbstmord getrieben. Die wollen großartig Satanisten sein. Habe vorgehabt, mich taufen zu lassen! Bloß, weil ich von diesen Leuten fasziniert war. Das war aber bloß alles Show.

Sebastian S.: Ich hab schon zwei Jahre früher angefangen, an Mord zu denken. Es stand fest, daß ich, alleine oder in der Gruppe, mal jemanden töten werde.

Mutter: Als er verschwunden war, war für uns klar, daß er nicht einfach abgehauen ist. Es gab ja keinen Anlaß dafür. Außerdem hatte er kein Geld und keine Sachen zum Wechseln. Eine Woche haben wir fast nicht mehr geschlafen, ihn Tag und Nacht gesucht. Nachdem wir Sandros Briefe gelesen haben, fiel unser Verdacht auf diese Satanistengruppe, mit der er früher zusammen war. Ich dachte, sie hätten ihn irgendwo gefesselt und eingesperrt. Ich hab' doch nie geglaubt, daß er ermordert wurde – bis ich sein T-Shirt gefunden hab.

Sandro: Als die mich mal zu 'nem Friedhofsspaziergang bei Nacht (21 Uhr ist bei denen Nacht) eingeladen haben, haben sie so 'ner großen Engelsstatue die Finger abgedroschen! Echt primitiv. Diese Leute sind so arrogant, intolerant, verlogen und nur auf Show aus. Hendrik, der Sänger, hat mal gesagt: „Auffallen ist alles. Der Rest zählt nicht!“ Da sieht man mal, wie ernst sie das nehmen.

Sebastian S.: Wir haben uns genau überlegt, wie wir es anstellen wollen. Der Plan sah so aus, daß wir ihm das Genick brechen wollten. Das war Hendriks Idee, er hatte es in dem Film „1492“ gesehen. Da fließt kein Blut.

Sandro: Die sind sauer auf mich, weil ich Kritik an ihrem Demo- Tape von ABSURD geübt hab. Hab eines gekauft, angehört: 99 Prozent Rauschen! Hab es zerkloppt und es bei dem Arschloch von Sänger in den Briefkasten geworfen ... Conny hat Dark Mark Doom [Gruppenname für Sebastian S., die Red.] von mir ausrichten lassen, daß er im Bett nix bringt. Er kennt sie angeblich nicht! Ist aber drei Wochen mit ihr gegangen!

Vater: Patentrezepte, was man als Eltern tun kann, gibt es nicht. Sicher sind zum Teil die Horror-Videos schuld. Wer will das ausschließen. Dadurch wird man irgendwann abgebrüht und sieht Gewalt als etwas völlig Normales an. Zu Hause durfte Sandro so etwas nicht anschauen.

Mutter: Wenn Sandro in der Gruppe anerkannt worden wäre, säße ich hier vielleicht als Mutter eines Mörders. Er war so gutmütig, daß er zum Mitläufer hätte werden können. Aber dann kann ich es mir doch wieder nicht vorstellen, denn er war nie gewalttätig, er hat Gewalt verabscheut.

Sandro: Die erzählen rum (in Interviews von Schülerzeitungen), daß sie LSD konsumieren, Jungfrauen opfern, schwarze Messen zelebrieren, am Ende/Untergang der Welt mithelfen. So was ist doch primitiv!!! Ich könnte ausrasten. Wie doof war ich denn, mich mit solchen Dingen zu identifizieren?!?!?! Nun ist Schluß damit.

Sebastian S.: Er hat uns Geld angeboten, wenn wir ihn am Leben lassen. Andere Leute töten für Geld. Wir wollten kein Geld, daß er am Leben bleibt. Aber Sandro war kein Wert in der Art, daß es sich gelohnt hätte, ihn zu töten. ... Als wir ihn gewürgt haben, sind mir seine Pupillen aufgefallen. Die waren ganz klein, als hätte er nichts mehr wahrgenommen außer seiner Todesangst. So hab ich mir Gewißheit verschafft, daß ich doch nicht so lächerlich bin, wie Sandro das gerne gesehen hätte.

Vater: Meine Frau ist kurz vor dem Zusammenbruch. Aber wir hatten uns vorgenommen, den Prozeß durchzustehen – es ist auch ein bißchen Bewältigung dabei. Jedesmal, wenn wir den Familien der Täter begegnen, haben wir richtiges Herzklopfen. Aber wir wollten uns nicht ducken und verstecken.

Mutter: Selbst zehn Jahre sind zu wenig für die Mörder. Ich wünsche mir (weint), daß sie so lange ins Gefängnis kommen, daß sie Zeit haben zum Nachdenken und daß ihnen das Bild von Sandro in seinen letzten Minuten immer vor Augen steht.

Siehe auch Seite 2

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