: Das Gesetz der Lautstärke
■ Egon Humer dokumentiert mit „The Bands“ den Wiener Musik-Underground
Es schneit über dem schwarzweißen Wien, im Schneckentempo arbeiten sich die Flocken durch das grobe Korn des Filmmaterials. Fast sieht man nichts, dann hinten irgendwo Industriegelände. Als müßten erst einmal bergeweise Erinnerungen an den Post-Punk der achtziger Jahre abgearbeitet werden, beginnt „The Bands“ mit ausgedehnten Kamerafahrten vorbei an stacheldrahtgesicherten Fabrikhallen und Verwaltungsgebäuden, in denen selbst mitten in der Nacht vereinzelt Lichter brennen. Aus dem Off berichtet ein idealer Rockpalasterzähler auf englisch von den einschlägigen Erfahrungen mit der Jugendkultur im Allgemeinen, von diversen „Fuck“- Zuschreibungen ans Establishment und ähnlich existentieller Not. Winter im depressiven Wien.
Noch in die ausklingende Anmoderation hinein schieben sich ein paar schroffe Akkorde der Gitarrenband „Occidental Blue Harmony Lovers“, irgendwo zwischen Hardcore-Blues und den verspielten Tonreihen von firehose. Mit einem einzigen Schnitt hat Egon Humer die Fronten seines Dokumentarfilms gewechselt: Vom sozial engagierten Kommentar am Rand der symbolisch schweren Bilder in den Aktionskreis des Wiener Musik-Underground, in die Techno- Clubs und Punkrockkeller. Und die sonst üblichen Erklärungen müssen ab jetzt draußen bleiben. Pop-politbewußt läßt Humer von nun an Trockeneis und T-Shirts sprechen oder die irrwitzig körperlich agierenden Musiker, die sich wie der piratenbärtige Sänger von „Fetish 69“ aggressionsgestaut auf dem Bühnenboden wälzen.
„Wir reportieren nicht, wir versuchen Schauwerte zu liefern“, hat der Kameramann Wolfgang Lehner die am Verfahren des „Direct Cinema“ angelehnte Arbeitsweise beschrieben: „Die Zuseher erhalten die privilegierte Position des teilnehmenden Beobachters.“ So flattert das Kino-Publikum gemeinsam mit der Handkamera bei „Cold World“ ziemlich alleingelassen in einem Pulk von pogotanzenden Langhaarigen umher oder steht während eines Auftritts der militanten Computer-Hacker „Bask“ üer Minuten einigen auf Ecstasy verzerrt dreinblickenden Ravern im Stroboskoplicht gegenüber, die nicht mit dem Zurükgucken aufhören können, solange der Beat nur läuft.
Anders als in der WDR-Sozialstudie üer Ruhrpott-Metaller „Trash-Altessen“ wollte Humer allein die Kraft der Musik festhalten, die jede der unterschiedlichen Szene-Gruppen von lyrischem Dissidentenpop bis zum abgehangenen Thrash-Metal zusammenhät. In protokollhaften Nahaufnahmen spiegelt sich die Geschlossenheit der Innenseite des Underground wider, das unantastbare Selbstbewußtsein derer, die Bewegung sind und zugleich in Bewegung. Musik ist eine Frage des Feedbacks, der Film beugt sich diesem Gesetz der Lautstärke. Distanzieren will sich von ihrem Lebenswandel keine der Bands.
Wenn zum Schluß etwa die Death-Metal-Band „Pungent Stench“ in Sachen gewaltverherrlichende Texte Stellung bezieht, dann beläßt Humer es bei dem Einverständnis, das zwischen Band und Fans existiert. Statt dessen filmt er, wie Musiker und Publikum in den letzten Konzertminuten zu einem Knoten verschmelzen, aus dessen Wirrwarr ab und zu Vereinzelte herausschlüpfen, nur um mit einem Hechtsprung wieder in der Masse unten vor der Bühne abzutauchen. Daß die meisten Songs von Isolation handeln, darf dabei kein Hindernis sein. Harald Fricke
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