: „Ich schweige so lange, bis Ihr redet“
Auf studentischen Druck änderte das Otto-Suhr-Institut seine „verödeten Lernformen“ / Nun führen Professoren und Tutoren gemeinsam ins Fach ein – Unzufriedene gibt's dennoch ■ Von Christian Füller
Wie werden Erstsemester in die Massenuniversität und ins jeweilige Studienfach eingeführt? Teil 2 der taz-Serie guter und schlechter Beispiele, wie Fachbereiche den Studienbeginn organisieren.
So weiß hat man den Seminarraum 3, kurz S 3 am Otto-Suhr-Institut (OSI) noch nicht gesehen. Keine Revolutionsparolen an der frischgekalkten Wand, keine Injurien gegen Gesine Schwan, die Dekanin des Fachbereichs Politische Wissenschaft. Den S 3 entwanden Studenten im 89er Streik den Dozenten. Selbstbestimmtes Lernen sollte dort stattfinden – ohne professorale Überwachung. Jetzt sitzen Erstsemester im S 3 ihrem Tutor Markus gegenüber.
„Ich werde so lange schweigen, bis jemand anfängt“, sagt Markus in die Runde hinein. Schweigen schlägt ihm entgegen. „Welche Fragen hattet Ihr an den Text von Machiavelli?“ will Markus wissen. Es geht um das kleine Einmaleins des wissenschaftlichen Arbeitens, des Lesens überhaupt: das Strukturieren, Verstehen, Diskutieren eines Textes. Von den StudienanfängerInnen kommt wenig zurück. Verschämtes Schweigen. Lachen soll die Stille überbrücken. Keiner traut sich, was zu sagen. Wie in der Schule wird später durcheinandergeredet. Markus mahnt zur Ruhe – und ist das, was er gar nicht sein will: Dozent.
Vom Umgang mit Macht
Die Politikwissenschaft zählt zu den großen Fächern an der FU. Dem Studentenausweis nach studieren hier 6.000 Politik oder, anders, den unvermeidlichen Umgang mit Macht. Wie Macht entsteht und wie mit ihr umzugehen sei, dem kann man sich von den verschiedensten Disziplinen her nähern. Die Juristen glauben sie in Gesetzen einfangen zu können, die Geschichtswissenschaft weiß etwas darüber, die Ökonomie hilft bei der Analyse politischer Systeme, die Soziologie natürlich und auch die Psychologie. Und alle diese Teildisziplinen der Politikwissenschaft werden am OSI auch noch gelehrt. Das ist ein bißchen viel Unübersichtlichkeit für die Neulinge am OSI. Nicht jeder kommt, ausgebufft von etlichen Semestern Grundstudium, von einer anderen Universität.
Darum hat der Fachbereich eine neuartige Einführung in die Politikwissenschaft geschaffen. Es ist nicht die erste. Aber noch nie war ein Kranz von zwölf studentischen Tutorien um die Einführungsvorlesung gelegt worden. Gesine Schwan und ein anderes politologisches Urgestein am OSI, Bodo Zeuner, lesen. Und ein Dutzend älterer StudentInnen bereitet die Vorlesung mit je 15 Erstsemestern im Tutorium nach oder vor – je nachdem.
Ein festgezurrtes Konzept gibt es dabei nicht. Möglichst soll der Stoff der Vorlesung exemplarisch vertieft werden: mit der Lektüre von Texten, durch die Diskussion darüber. Vor allem aber hängt das Tutorium von dem ab, was die Studierenden selbst einbringen. Die Tutoren wiederum können die Vorlesung beanspruchen. Dieses Semester ging es um Hochschulpolitik.
Das Wissen wird nicht mundgerecht verabreicht
Das Tutorium trifft auf eine gespaltene Klientel. Da seien Leute dabei, berichtet Tutorin Frauke, „die machen das echt schluckmäßig“. Sprich: Sie wollen Wissen verabreicht bekommen, am besten mundgerecht portioniert. Beispiel Saschka, die moniert, „daß die Vermittlung von Grundkenntnissen fehlt“. Und eine ehemalige Jurastudentin blickt wehmütig ins alte Fach zurück: „Da wurde sofort gesagt, das und das mußt du wissen.“
Tutor Markus hält dagegen, daß es keinen festen Kanon von Wissen in der Politikwissenschaft gebe. Er sehe seine Aufgabe darin, die Eigeninitiative der Studierenden zu entwickeln. Die Orientierung im Fach, ihre Vorlieben müßten sie dann selbst finden. Im Tutorium gehe es oft „ziemlich zäh zu“, gesteht der 28jährige zu, der sich gerade auf seine Diplomarbeit vorbereitet. „Viele können mit dieser Lernform nicht umgehen“, beschreibt Nebenfächlerin Swanhild ihren Eindruck. Sie vermisse bei vielen die Bereitschaft, „gemeinsam zu lernen“.
Genau dieses gemeinsame selbstbestimmte Lernen war eine der Triebfedern des Studentenstreiks von 1988/89. Die Studierenden skandalisierten damals die „Verödung der Lernkultur am OSI“. Die Lerninteressen der Studierenden würde von den Seminaren in die Arbeitsgruppen abgeschoben und endeten nicht selten „in der diskussionslosen Isolation des Einzelkämpfertums“. „StudienUNordnung“ haben die Studierenden diese Probleme genannt. Am Otto-Suhr-Institut haben sie damit die Diskussion um die neue Studienordnung beeinflußt – und manches paradoxe Ergebnis erzielt. Jeder Dozent zum Beispiel muß neuerdings persönlich drei Studierende durchs Studium begleiten – ganz selbstbestimmt.
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