Polizei will Besetzer vertreiben

■ Brasilien: Kampf um enteignete „Fazenda Jangada“

Rio de Janeiro (taz) – Die Auseinandersetzungen um einen landwirtschaftlichen Betrieb im Inneren des brasilianischen Bundesstaates São Paulo hat am Mittwoch ihr erstes Todesopfer gefordert. Rafael Ortelhado, 69 Jahre, Landarbeiter auf der „Fazenda Jangada“, wurde von einem unbekannten Täter erschossen. Nach dem Vorfall droht nun die brasilianische Polizei rücksichtslos gegen die Besetzer des Gutes vorzugehen. „Wenn die Invasoren nicht friedlich abziehen, werden wir sie mit Gewalt dazu zwingen“, stellt der Sekretär für öffentliche Sicherheit des Bundesstaates São Paulo, Odyr Porto, klar.

Der Kampf um die „Fazenda Jangada“ begann bereits im November vergangenen Jahres. Damals besetzten rund 2.000 Familien das 5.400 Hektar große Grundstück (die taz berichtete). Nach einer gewaltsamen Räumung durch die Polizei versprach Brasiliens Präsident Itamar Franco, das Streitobjekt mit in die Liste der zu enteignenden Betriebe aufzunehmen, um eine Eskalation zu vermeiden. Per Dekret enteignete Franco damals 18 landwirtschaftliche Betriebe aus „sozialen Gründen“. Die knapp 100.000 Hektar große landwirtschaftliche Nutzfläche sollte an 2.200 landlose Familien verteilt werden.

Trotz des präsidialen Enteignungsdekrets befindet sich die „Fazenda Jangada“ weiterhin in privater Hand. Denn Großgrundbesitzer Antonio Ribas erreichte vor dem Obersten Verfassungsgericht (STF) in Brasilia eine einstweilige Verfügung.

Richtlinien „leider noch nicht umgesetzt“

Die Vertreter der Landlosen-Bewegung „Sem Terra“ entschlossen sich daraufhin am vergangenen Sonntag erneut zur Besetzung des Grundstücks. „Soziale Probleme sind in Brasilien eine Angelegenheit der Polizei. Landlose Tagelöhner werden wie Banditen behandelt“, empört sich Adao Pretto, Abgeordneter der brasilianischen Arbeiterpartei PT und Mitglied der Agrarkommission im Parlament. Pretto war maßgeblich an der Ausarbeitung des Agrarreformgesetzes beteiligt, das am 27. Januar 1993 vom brasilianischen Kongreß verabschiedet wurde. „Leider jedoch“, so Pretto, „sind die Richtlinien noch nicht vom Papier in die Praxis umgesetzt worden.“ Nach dem neuen Gesetz, das in Brasilien erstmals eine rechtliche Handhabe für Enteignungen schuf, müssen Landwirtschaftsbetriebe „produktiv“ sein und eine „soziale Funktion“ erfüllen. Als „produktiv“ gelten „Fazendas“, deren Nutzfläche bis zu 80 Prozent bewirtschaftet wird. Zur „sozialen Funktion“ gehören unter anderem die Einhaltung von Arbeitnehmerrechten.

Seit dem Regierungsantritt von Brasiliens Präsident Itamar Franco sind knapp 400.000 Hektar Land enteignet worden. Die Großgrundbesitzer, die über die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzungsfläche in Brasilien kontrollieren, brauchen jedoch nicht um ihre Pfründe zu fürchten. Im fruchtbaren Süden, wo sich die Landkonflikte häufen, sind laut Regierungsangaben kaum Grundstücke enteignet worden. „Die meisten Enteignungen wurden im weniger begehrten Norden und Nordosten vorgenommen“, erklärt Agrarexperte Pretto. Astrid Prange