: Russisches Glück
■ Juri Chaschtschewatski im Forum
Das japanische Fernsehen hat bei russischen Dokumentarfilmleuten einen Film in Auftrag geben: Sie sollen eine Traumhochzeit organisieren und mitdrehen, russisches Glück – live dabei. Die Filmemacher treiben einen einsamen Kauz auf, der sich das Haar und den Bart nicht schneidet, sich stolz „Farmer“ nennt (auch wenn er kein Stück Land besitzt), Windmühlen baut und eigentlich nichts gegen das Heiraten hat. Außer der Angst, daß keine ihn nimmt...
Die Filmleute finden ihm eine Frau, die eine Heiratsanzeige aufgegeben hatte und am Tag Bäuerin ist und abends Filme vorführt. Sie lassen das Glück der Frau von einer Kartenlegerin prüfen, schneiden dem Farmer den Bart zurecht, und dann wollen sie loslegen. Nur ist man in Rußland und nicht bei Linda de Mol, da sind die Menschen seltsam und trauen dem Fernsehen nicht, und der Waldgeist steigt in letzter Minute aus.
Diese ironische Reportage über einen geplatzten Auftragsfilm und das geplatzte Glück wird ständig von Videotricks unterbrochen, die wie eine eingebaute Werbung für japanische Käufer wirken. Der schon 1992 gedrehte Film hat in den letzten zwei Jahren eine ungewollte Sinnverschiebung erfahren. Damals zerfiel das Sowjetreich in tausend Einzelteile, und alle wollten loskommen von den „bösen Russen“, vom Zentrum. So bot die von dem harmlosen Kauz Wassili und seiner verhinderten Braut gezeigte Solidarität mit den Russen, die unter der Käseglocke des Zentralstaates auch nur geblutet haben und nun gleichsam heimatlos waren, eine ganz andere Lesart als heute, wo sich der Film eher wie eine naiv-plumpe Politwerbung für Jelzins Bodenreform ansieht.
Wenn die nämlich greift, meinen die Autoren ausnahmsweise im Ernst, dann würde auch der russische Farmer ein Farmer werden und glücklich. Insofern ist der Film ein anderer geworden, und ihn heute zu zeigen, als sei nichts geschehen, ist nicht unproblematisch. Oksana Bulgakowa
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