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Medizin und warmes Bett in eisiger Kälte

■ Die einzige Krankenstation für Obdachlose hat mit der Arbeit begonnen / Die zwölf Betten sind ständig belegt

Die Zimmer sind klein, die Betten aus billigem Preßholz klapprig, die weißgrauen Wände kahl. Aber es ist warm, und das ist die Hauptsache. „Verglichen mit dem, was unsere Leute sonst so gewöhnt sind, ist das hier unvorstellbarer Luxus“, sagt Birgit Mallmann. Sie ist Sozialarbeiterin und arbeitet in der ersten und einzigen Krankenstation für Obdachlose, die jetzt in der Lichtenberger Magdalenenstraße eröffnet wurde. Finanziert wird das Projekt, dessen zwölf Betten ständig belegt sind, aus Spenden. Träger ist das Diakonische Werk.

Obdachlose haben zwar die Möglichkeit, einen Arzt aufzusuchen und sich vom Sozialamt einen Krankenschein zur Kostenübernahme zu besorgen, aber praktisch funktioniert das nur selten. Denn rund die Hälfte der 25.000 Wohnungslosen, so schätzt der Arzt Peter Dähling vom Diakonischen Werk, haben überhaupt keine Papiere mehr und sind nicht polizeilich gemeldet. Und: Die Abwehr oder auch die Scheu, mit Behörden in Kontakt zu treten, nehme mit der Länge der Obdachlosigkeit zu.

„Viele sind körperlich und psychisch vom Leben auf der Straße total erschöpft“, erzählt der Arzt, „und kümmern sich überhaupt nicht mehr um ihre Krankheiten.“ Besonders diese Langzeit-Obdachlosen, die meist schon über 50 Jahre alt sind, versucht Peter Dähling in der Lichtenberger Krankenstation unterzubringen. Dähling trifft seine Patienten am Bahnhof Zoo oder Hauptbahnhof, wo er ambulant arbeitet und Ödeme oder eitrige Wunden behandelt.

Aber nicht nur Krankheiten werden hier auskuriert, sondern das Projekt soll auch das Selbstbewußtsein der Wohnungslosen fördern. Ein Beispiel ist Manfred K. (Name geändert, d. Red.): Der 42jährige ist obdachlos, nachdem nach einem einmonatigen Krankenhaus- und Gefängnisaufenthalt seine Wohnung unrechtmäßig gekündigt wurde. Bei einem epileptischen Anfall verletzte er sich am Kopf, seine Wunde konnte erst in der Krankenstation ausheilen. Jetzt versucht er mit Hilfe der SozialarbeiterInnen, seine Wohnung wiederzubekommen. „Es ist wirklich erstaunlich, wie viele der Patienten nach dem Aufenthalt in der Magdalenenstraße wesentlich motivierter sind, ein neues Leben zu beginnen, als vorher“, sagt Peter Dähling. Wichtig dafür sei aber auch die Einstellung des Personals: Sie akzeptieren nämlich Alkohol und Zigaretten, notfalls auch am Krankenbett – Verbote und Vorschriften gibt es kaum.

Peter Dähling fordert Krankenbetten in jedem Bezirk der Stadt, außerdem einen erleichterten Behördenweg für Obdachlose. Aber nicht einmal die Betten in Lichtenberg sind dauerhaft gesichert, denn nur bis Anfang Mai können in dem ehemaligen Stasi-Gebäude Obdachlose behandelt werden – danach läuft der Mietvertrag mit der Treuhand aus. Julia Naumann

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