: Dance around the clock
Deutsche Tanzplattform: Wenige Glanzlichter und heftige Schwächen ■ Von Michaela Schlagenwerth
Das Festival begann mit einer mittleren Katastrophe. 125 ausländische Veranstalter, Produzenten und Tanzkritiker reisten an und machten die „Tanzplattform Deutschland“, die Vorentscheidung für den internationalen Wettbewerb „Rencontres choréographiques internationales de Bagnolet“, zu einem Ereignis von internationalem Rang. Vor so einem hochkarätigen Fachpublikum ist lange keine Tanzgruppe in Berlin aufgetreten. Das Hebbel-Theater, das Theater am Halleschen Ufer, das Tacheles und die Tanzfabrik öffneten ihre Tore für Gruppen von Hamburg bis Leipzig. Und ausgerechnet am Eröffnungsabend des Wettbewerbs wurde die Technik des Hebbel-Theaters von der bisher größten Panne heimgesucht: Gleich zweimal hintereinander stürzte der Computer, der Licht und Ton steuert, ab.
Über eine Stunde mußte man auf den ersten Auftritt, einen 20minütigen Ausschnitt aus Riki von Falkens Solo-Programm „Ohrella“, warten. Und fast noch einmal so lang auf den ebenso kurzen Ausschnitt von Regina Baumgarts „Der Grammophonspieler oder Unbeobachtete Tänzer“. Für schlechte Laune sorgte allerdings nicht die lange Warterei allein: Weder Riki von Falken noch das Regina-Baumgart-Tanzensemble konnten überzeugen. Mögen auch Riki von Falkens Bewegungen von einer Organik sein, die ihren Tanz zunächst zu einem Augenschmaus werden läßt: Auf Dauer ist der Fluß des Immergleichen, der sich nie verdichtet oder ins Gegenteil verkehrt, schlicht und wenig ergreifend – langweilig. Regina Baumgarts intelligent konzipiertes Tanzstück litt unter mangelnden tänzerischen Qualitäten des Ensembles, und auch die dritte Gruppe des Abends, die Coogan Dancers aus München (Leitung: Jenny Coogan) waren sehr viel schlechter als ihr Ruf.
Erst kurz vor Mitternacht, nach vier in jeder Hinsicht harten Stunden, wurden die ermatteten Zuschauer aus dem trostlosen Dämmer gerüttelt: Die Hamburger Gruppe COAX lieferte eine martialische Bühnenshow, die zwar nicht so lebensgefährlich war, wie es die Choreographin Rica Blunck angekündigt hatte, aber sie verstieß mit einer erfrischenden Lust gegen alle ästhetischen Gesetze des Genres: Eine Metallskulptur, ausgestattet mit einem permanent kreisenden, nahezu den ganzen Bühnenraum ausfüllenden Arm, diktiert den Tänzern die Bewegung. Zu munterem HipHop- Crash-Krach machen sich drei Damen an einen Herrn heran und verschmähen auch die dezenten Griffe an seine Eier nicht.
Wesentlich gelungener war das gesamte Programm des zweiten Wettbewerbtages. Sasha Waltz & Guests, die für ihre Produktion „Travelogue“ anläßlich der Premiere im September vergangenen Jahres an dieser Stelle schon heftig gelobt wurden, boten einen energiegeladenen und humorvollen Einblick in die Kämpfe und Krämpfe der Liebe. Nach einer eher etwas drögen Kurt-Kögel- Choreographie ging dann bei der Toladá Dance Company die Post ab, und das tänzerische Niveauvollste kam zum Schluß: Amanda Miller und ihre Company Pretty Ugly.
Autistisches Kreisen im Nirgendwo
Millers „Night, by itself“ ist ein düsterer Traum. Menschen irren im Dämmerlicht umher, als ob sie weder leben noch sterben könnten. Entrückt und so unfaßbar und federleicht wie die durchsichtigen, aufgeblasenen Plastikskulpturen, die auf der Bühne liegen und vom Schnürboden herabschweben. Es ist, als schliefen sie und als wären ihre Gebärden, ihre Handlungen und die Worte, die sie ab und an in den Raum hinaus stoßen „nicht mehr als ein peripheres Atmen, ein rhythmischer Instinkt irgendeines Organismus“ (Pessoa). Ein Mann läuft verwundert auf und ab, die Hände hilflos von sich gestreckt – auf der Suche nach etwas, das er vergessen hat. Die Tänzer klacken die Pulsadern aufeinander, als könnten sie so das Leben, das ihnen abhanden gekommen ist, wieder hervorlocken. Ein hoffnungsloses Unterfangen: Im Nirgendwo kreisen sie ausweglos und autistisch um sich selbst.
Nahezu vier Stunden dauerte das Programm und hatte noch kein Ende: Rock around the clock. Mit zwei Reisebussen ging es zum pittoresk vergammelten Tacheles. Das Programm der Choreographin Wanda Golonka und des bildenden Künstlers VA Wölfl hat die nächtliche Exkursion allerdings nur begrenzt gelohnt. Die Synthese von Tanz und Bildender Kunst schuf zwar beeindruckende, aber letztlich inhaltsleere, auf Dauer ermüdende Bilder. Es bleibt die Erinnerung an Stäbe, an deren Ende Glühbirnen befestigt sind und an Tänzer, die im Gleichschritt in verschiedenen Formationen über die Bühne marschieren.
Ausdruckstänzerin und jugendlicher Held
Am dritten Abend präsentierten sich im Hebbel-Theater gleich drei Gruppen aus Theatern der früheren DDR. Wie Jo Fabian (dessen „Whisky and Flags“ das Festival eröffnete) nahmen auch sie am Wettbewerb nicht teil. Zu sehen waren sie trotzdem: In dem von den deutschen Veranstaltern organisierten Showcase. Anna Huber, die gemeinsam mit Jo Fabian am Staatstheater Cottbus arbeitet, zeigte, begleitet von zwei Schauspielern, einen Solotanz zu einem Text von Franz Kafka (elektronisch verfremdet, kaum verständlich). Sie führte disparate Gesten vor, die ohne jedes Bezugssystem ein eigenwilliges Eigenleben entwickelten. Arila Siegert, die in Berlin durch ihre Choreographien an der Komischen Oper bekannt ist, tanzte in ihrer Dresdener Produktion „Fluchtlinien“ selbst. Und wenn man sie allein auf der Bühne sieht, versteht man ihren Hang zum Pathos und zu den ganz großen Themen: Sie ist in der Lage, diese Form auszufüllen, ohne daß es nur einen Moment peinlich wirken würde – eine große Solotänzerin in der Tradition des deutschen Ausdruckstanzes.
Doch kaum erscheint ihr Tanzpartner Thomas Hartmann auf der Bühne, bekommen die Fluchtlinien einen unangenehmen Beigeschmack: Der Tänzer wirkt wie ein jugendlicher Heldendarsteller aus den 50er Jahren, und was vorher zeitlos wirkte, erscheint nun anachronistisch.
Insgesamt bot das Festival eine Bestandsaufnahme mit wenigen Glanzlichtern und einigen, allerdings heftigen Schwächen. Vor allem die Entscheidung der Jury, so viele Berliner Gruppen, von denen man nicht jeder überregionale Bedeutung attestieren mag, in das Wettbewerbsprogramm aufzunehmen, ist mehr als fragwürdig.
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