Das unbarmherzige Außen

■ Wenn die Wohnung zur Berliner Zentralkatastrophe erkaltet oder: Wie es einem ergeht, der vergessen hat, rechtzeitig Kohlebriketts zu ordern / Wie man im Polarwinter verlottert

Der Winter ist kalt. Polarkalt. Ein jeder ist mit sich und den minus 15 Grad beschäftigt. Tausend Stoffschichten umhüllen den Körper. Garderoben sind rar gesät. Die Gesichter verstecken sich hinter Haaren, die man sich lang wachsen läßt.

Die angesagten Wollmützen sehen durchgehend bescheuert aus. Die Blicke in den Straßen, wenn sie sich mal treffen, sind abweisend, oft verhaltensgestört. Nur ganz selten einmal ein Anflug von Freundlichkeit.

Autos fahren wie Schiffe: Sie schleichen und pusten weiße Wolken aus den Auspuffen. Rutschen aufeinander zu und stoßen sich an, eher kumpelhaft. Die Männer, die da drinnen sitzen, sind böse.

Im „Schoko-Laden“ erzählt mir jemand von einem Unfall, den er kürzlich gesehen hatte: „Die Frau lag blutend auf der Straße. Niemand traute sich hinzugehen. Wegen Aids! Als der Krankenwagen kam, war sie tot. Der Autofahrer murmelte nur ständig: Das wird teuer.“

Draußen ist Winter, und da, wo ich wohne, erst recht. Meine Wohnung ist eine Berliner Zentralkatastrophe. Über mir ist nur der Boden, durch den es lustig pfeift. Ab und an hört man auch Mäuschen krabbeln. Der Fußboden ist kalt, denn der Mieter unter mir ist längst schon zu seiner zentralbeheizten Freundin gezogen. Alle Wände grenzen ans unbarmherzige Außen. In der Ecke steht ein blöder Allesbrenner. Wenn man ihn so sehr mit Eierkohlen und Holz vollstopft, daß die Ofenrohre glühen, ist es über dem Schreibtisch zwar recht warm, die armen Füße jedoch, die frieren.

Da legt man sich dann Omadecken über die Beine und zieht sich skandinavische Hausschuhe an, die man mal geschenkt bekommen hat und die unglaublich bunt, „wohnlich“, vor allem also furchtbar bescheuert aussehen. Viele tragen diese Albernheiten sogar, wenn Besuch vorbeikommt.

So verlottert man im Winter.

Wie jedes Jahr hatte ich es versäumt, mir Kohlen zu besorgen, und stiefelte nun alle Naselang zum Supermarkt, um 5-Kilo-Pakete zu holen. Das war nicht so schön. A., ein türkischer Freund, der im Kohlenhandel tätig ist, versprach, für Abhilfe zu sorgen. Er würde mir die Kohlen sogar umsonst liefern, wenn ich den unverschämten Verleumdungen, die in der Presse über den Kohlenhandel verbreitet würden, mutig entgegenträte.

Ich sollte also ein Interview mit ihm machen, in dem er als Eingeweihter der Welt verkünden würde, daß Kohlenhändler ehrliche Menschen sind, die nie auf die Idee kommen würden, schwarz zu arbeiten oder ihre Kunden zu betrügen. Vor kurzem hatte A. zwar noch in lustiger Runde erzählt, wie sie im Kohlelieferwagen voller Schwarzarbeiter durch die Gegend gefahren seien und ein Bulle sie angehalten habe. Eilig hätten sie sich mit weißen Taschentüchern Gesichter und Hände gereinigt und dem Bullen gesagt, der Kollege habe sie zufälligerweise mitgenommen, und ein wenig staubig sehe man eben aus, wenn man in einem Kohlewagen mitfahre. Vor einem Jahr hatte A. auch erklärt, er wolle sich von dem Geld, das sich so ansammle, wenn man versehentlich ein wenig weniger liefere, ein Haus bauen.

Doch der Winter ist kalt. Ich versprach also, eine am Leben orientierte, mit dem Kohlenhandel sympathisierende Reportage zu schreiben.

Doch nun ließ A. tagelang nichts mehr von sich hören. Unter den ziemlich zahlreichen Nummern, die er mir gegeben hatte (er ist ein Casanova – seine letzte Freundin hatte er übrigens beim Kohleliefern kennengelernt), war er nicht zu erreichen. Nach einigen Wochen rief er dann ziemlich angetrunken an und erklärte dem Anrufbeantworter meiner Freundin, es gebe „keine Probleme“ und „Ich liebe euch alle“. Konkreter wurde er nicht. Inzwischen war es Dezember.

Ich zog dann in die Wohnung einer Freundin, die gerade in Burma mit possierlichen Äffchen spielte. Die hat eine Zentralheizung (auch wenn die Fenster nicht so toll schließen). Da ist es schön warm. A. traf ich zufällig auf der Straße. Momentan sei er leider nicht mehr im Kohlegeschäft. Das seien sowieso alles „Banditen“. Auch sei ihm gerade seine Frau davongelaufen. Detlef Kuhlbrodt