: Adieu meine Konkubine
Landmädchen mit Sendungsbewußtsein: Jacques Rivette wagt sich mit „Jeanne La Pucelle“ furchtlos an einen klassischen Stoff/Panorama ■ Von Mariam Niroumand
Nach Bresson, Dreyer, Rossellini und Preminger noch einmal die Geschichte der Jeanne d'Arc zu verfilmen, ist in der Tat ein kühnes Unterfangen. Eigentlich müßte es sich ständig legitimieren, mit extra lautem Getöse aufwarten, aber siehe da: Schon nach zehn Minuten gibt man das Vergleichen auf.
Seltsam schwerelos, einfach und dem Zuschauer freundlich zugewandt, wird hier akkurat die Geschichte des Feldzuges erzählt, der eine junge Frau im 15. Jahrhundert von Vacouleurs über Chinon nach Reims, Orléans und Paris bis auf den Scheiterhaufen nach Rouen brachte. Die Facts sind da, die Winkelzüge, Schlachtlinien und Zeugenaussagen, aber sie fügen sich nie vollends zusammen; zwischen ihnen verbleiben Risse, durch die etwas schimmert, das sich nicht einfach zu den Akten legen läßt.
„Jeanne La Pucelle“, die Jungfrau, hat sie sich selbst genannt. Und so waren die Botschaften gezeichnet, in denen sie die Engländer höflich, aber bestimmt aufforderte, aus Frankreich zu verschwinden. In den Vogesen als Tochter wohlsituierter Landleute geboren, hörte sie schon als junges Mädchen die Stimmen diverser Heiliger, die ihr auftrugen, Frankreich zu retten. Lieber wäre sie, so gesteht sie einmal ihren Soldaten bedauernd, bei ihrer Mutter geblieben und hätte genäht und gestickt, aber es ging nicht anders. (Eigentlich sollte sie „Je suis envoyée de par Dieu“ sagen, aber das ging nicht wegen des berühmten Kollegen, und so sagt sie statt dessen „en nom de Dieu“.) Der genaue Auftrag lautete, sie solle den Dauphin, den in Chinon gestrandeten Thronfolger, nach Reims zur Krönung führen und Orléans befreien.
Natürlich kriegt man, gerade bei der diesjährigen Berlinale, erst mal einen Hl. Schrecken: Schon wieder eine Erweckte, nach all den kleinen Buddhas und Fearless Bridges? Nach und nach stellt sich aber heraus, daß Rivette und die schon fast im Theater verschwundene Sandrine Bonnaire etwas Komplizierteres im Sinne hatten.
In unendlicher Ruhe (der Bonnaire und vielen Zuschauern war das zu langsam) erzählt der erste Teil des zu Recht insgesamt 326minütigen Opus, wie das Mädchen vom Land zwischen den Pferden, die beschlagen, und der Ernte, die eingetrieben werden muß, anfängt, sich ihren Trupp zusammenzusuchen. Tante und Onkel, bei denen sie untergekommen ist, beobachten sie; er skeptisch, sie überzeugt: „So redet sonst keiner, sie ist mit Gott.“ Durch Lücken in der Holzwand beobachten sie Jeanne, wenn „es“ ihr wieder passiert, wenn die Stimmen wiederkommen. Wenn der Mann dann verklärt sagt: „Es ist, als sei sie von einem inneren Licht erleuchtet“, seine Frau dagegen freundlich erwidert: „Nein, es ist die Lampe“, dann wird deutlich, daß es nicht um Erweckung, sondern um etwas eher Introspektives geht, das bereits da ist und eher raus muß in die Welt als in eine Hl. Theresa hineinfahren.
Sandrine Bonnaire spielt die Jeanne ein bißchen, wie sie die Ausreißerin bei Agnès Varda gespielt hat: Erdverbunden, leicht zickig, mit einem unter Bescheidenheit schlecht verborgenen Größenwahn. Sie witzelt mit ihren Mannen, schlägt sie, wenn sie fluchen, tröstet und markiert den Feldherren. Ein Priester ist ihr stets zur Seite; er wiederum hat etwas Therapeutisches. Ihre Schlachten gehen leise vor sich; nicht auszudenken, was Bertolucci oder gar Zefirelli aus diesem Film gemacht hätten. Man hört, wie die Leiter an der Festung anschlägt, wie die Lanzen klirren, wie der Fluß quakt.
Kaum jemals sieht man bei Rivette die Großaufnahmen, aus denen Carl Dreyers ganzer Film bestand, diese klaustrophobische Nähe zu einer Entrückten. Bei Rivette fällt umgekehrt der Blick in einem ganz zaghaften Morgennebel oft ins Tal, auf Bäume, die einem zunicken, oft auch durch eine Maueröffnung, eine Art Fenster. In solchen Momenten, die einen irgendwie aufatmen lassen, findet auch ein bißchen Kinopolitik statt: Wollte er mit „La Belle Noiseuse“, seinem letzten Film über das Zustandekommen eines Gemäldes, das Kino noch an das autonome Künstlertum in Renaissance- Nachfolge ankoppeln, birgt das Kino hier, was das Fernsehen für Rivette jeden Tag neu einbüßt: Glaube, Liebe, Hoffnung. Malerei ist auch hier die Muse, vor allem für den Beleuchter Lubtchansky, einen alten Bekannten der Bonnaire: Am Anfang scheint alles noch zu schlummern, die Farben sind weich, gedämpft, dringen nicht durch; drinnen scheint es ein bißchen heller zu sein als draußen; dann taucht mal hier ein Weinrot auf, jede Menge katholisches Blau, Gesichter im Feuerschein, glänzende Rüstungen, ein Sonnennachmittag am Fluß, Wiesen. Zum Schluß erst liegt Grau über allem.
Die griffigste Formel, den Film in Gebrauch zu nehmen, wie man das auf Festivals gewohnt ist, scheint genau die zu sein, nach der auch das Panorama verfahren ist: Dort läuft „Jeanne La Pucelle“ nämlich in der Reihe „Starke Frauen“. Was liegt näher; schließlich schneidet sie sich mehrmals im Film die Haare, um wie ein Soldat, ein Junge auszusehen; schließlich hat die Bonnaire beschrieben, welche Erleichterung es für sie war, einmal keinen Sex im Film spielen zu müssen, und schließlich beschreibt der Film auch, wie Jeanne in englischer Gefangenschaft von der Inquisition gezwungen wird, wieder Frauenkleider zu tragen. Mag sein, daß dieser Film, wie einige andere, anzudeuten scheint, Frauen im sogenannten Post-Feminismus bleibe nur noch der Rückzug in die Performance, die Obsession oder den Wahn.
Aber gerade am Ende des zweiten Teils, in der Kerkerzeit, als die rüpeligen Soldaten über sie herfallen, als sie ein Büßerhemd trägt, wird eine tiefere Schicht sichtbar: Wie nämlich jemand, der sich und seine Idee exponiert – ob größenwahnsinnig oder nicht, mit oder ohne Legitimation von oben oder unten – auf Gnade angewiesen ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen