: Herzeleid und reichlich Frohsinn
■ „Grief“ – Eine leichte Seifenoper über Aids und das Leben, das weitergeht
Wo deutsche Filmerschöpfte sich noch immer an den theoretischen Prämissen zum Thema Aids abarbeiten, hat ein amerikanischer Regisseur bereits zum waghalsigen Sprung über den Graben zwischen Trauer und gelassener Heiterkeit angesetzt. „Grief“, ein dem Plot nach ebenso smartes wie seltsames Filmchen, spielt im Schreiblabor einer Fernsehseifenoper. „Ich hatte die Zutaten für eine gute Komödie“, sagte Regisseur Richard Glatzer, „aber ich wollte mehr als das. Ich wollte einen Film für meinen Lebensgefährten Donald Berry machen, der vor fünf Jahren starb. Und ich wollte das Paradigma einer Woche im Büro nutzen, um meine Gefühle, ihn überlebt zu haben, zu überprüfen.“ Das Risiko bestand darin, eine Komödie über Trauer, über Kummer zu drehen, eine Komödie über Antonyme, über Gegensätze.
Auch Mark Levy, der begabte, aber sympathisch unsichere Antiheld von „Grief“, hat vor einem Jahr seinen Lover wegen Aids verloren. Mark arbeitet für den „Love Judge“, eine absurde TV-Serie, und das in Hollywood. Macht ihm nichts aus, denn Seifenopern schreiben, ist nur eine andere Art von Prostitution, und Mark hat es nicht eben schlecht getroffen, was Bezahlung und Kollegen angeht. Er verbringt offenbar mehr Zeit sinnierend auf dem Dach des Bürohochhauses als hinter seinem Schreibtisch, die Welt durch rosa Bonbonpapier betrachtend. So läßt sich noch der langweiligste Job ertragen, wenigstens für eine gewisse Zeit. Marks dicke, süße Chefin Jo hat für alle Mitarbeiternöte ein Ohr und mehr Menscheltum, als sich gemeinhin in der Wirklichkeit finden läßt. Aber eines schönen montags findet sie die Hinterlassenschaft einer zwischenmenschlich-fleischlichen Entflammung auf ihrem schicken blauen Bürosofa. Das Karussell von Herz, Schmerz, Sex und den möglicherweise tödlichen Folgen kommt auch für Mark wieder in Gang.
Mark, der nicht wissen wollte, was und wer er ist und sich aus Kummer vergräbt, bekommt seine – theoretischen – lessons in love and life von Jeremy, einem schwulen und schwarzen Kollegen (!) erteilt. HIV-positiv bedeute schließlich nicht, daß das Leben vorüber sei, meint der und treibt es mit Bill, einem anderen Kollegen.
Der Zuschauer folgt einer munteren Büro-Crew, die sich schon mal auf dem Dienstsofa der Leidenschaft hingibt. Sex ist auch der Ausbruch aus der Tristesse. Zwischen Teekesselchen und olivgrünem Ölfarbanstrich rettet man sich mit Klatsch und kleinen Klauereien durch eine Fünftagewoche voller beruflichen Aberwitzes, voller allzu banaler Nöte und Sorgen, die schließlich die großen Tragödien und existentiellen Verluste, wie Mark sie erlitten hat, unter sich begraben müssen. Das scheint letztlich die Botschaft dieses kleinen Films und das Gesetz des alltäglichen Überlebens zu sein: Nicht unbedingt Aids oder all die anderen großen Dramen, sondern morgens überhaupt aufzustehen ist schon ein Risiko. Dabei wird eigentlich nichts am Thema Aids banalisiert. Im Büro geht man offensiv damit um: „Healthcare Is Wealthcare“ steht auf dem Plakat im Hintergrund, und es wird geredet. Zum Beispiel über Berührungsängste, darüber, ob man mit jemandem Sex haben würde, dessen Liebhaber an Aids gestorben ist. Symbole tummeln sich am Rande: ein Kreuz, ein Totenschädel, ein altes Foto von Mark und seinem Lover aus glücklichen Tagen. Die Seifenoper, an der man gemeinsam werkelt, kommentiert das gesellschaftliche Sexdilemma noch einmal auf der Metaebene – eine der Heldinnen soll sich testen lassen. Zuletzt steht Mark wieder auf dem Dach seines Bürohochhauses, und man hat doch immer wieder ein bißchen Angst, daß er einmal springen könnte.
Es scheint nur so, als ob „Grief“ alles und jeden hoppnimmt. Dieses sich so witzig gebende Kammerstückchen holt schwergewichtige Kohlen, die keiner recht auffangen will, aus dem sprichwörtlichen Feuer, und es tut das spielerisch, aber nicht blöde verspielt, leichthändig, aber nicht leichtsinnig.
Wer hätte gedacht, daß so etwas schon möglich ist – die ebenso wehmütige wie humorige Integration eines Themas, mit dessen tragischen Seiten (in „...und das Leben geht weiter...“ und „Philadelphia“) Hollywood gerade einen Haufen Geld verdient. Anke Westphal
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