■ Mit Atommüll in Gorleben auf du und du: Ein Spiel auf Zeit
Berlin (taz) – Der Bundesumweltminister streitet mit seiner niedersächsischen Kollegin mal wieder um eine Baustelle in Gorleben. Geplant ist eine Anlage, die verbrauchte Brennelemente für ein Endlager vorbereiten soll, das nirgendwo existiert. „Konditionierung“ heißt der amtliche Ausdruck für das Vorhaben. Sinn hat es keinen. Zwar will das neue Atomgesetz, das Klaus Töpfer vorbereitet, die sogenannte „direkte Endlagerung“ gestatten, die bisher nur als Ausnahme neben der Wiederaufbereitung verbrauchter Kernbrennstoffe zugelassen ist. Die dazu passende Deponie jedoch wird nicht in Gorleben stehen – zum erstenmal zweifelt jetzt die Atomindustrie selbst an diesem Projekt. In der Zeitschrift atomwirtschaft–atomtechnik, die als „offizielles Fachblatt der Kerntechnischen Gesellschaft“ firmiert, kommt der Siemens-Mitarbeiter Wolfgang Stoll, Hanau, zum Schluß, auch „bei freundlichster Betrachtung“ der bisherigen Analysen könnten „zwei Faktoren nicht übergangen werden“, die gegen den Salzstock von Gorleben sprechen: Weil die Abfälle, erstens, nicht rückholbar eingeschlossen werden sollen, seien „heute noch verborgene Fehler des Konzepts fast unkorrigierbar“. Zweitens: „Auch die beste Einlagerungstechnik alleine erfüllt die Forderung nicht, das Inventar an Radionukleiden, das kommenden Generationen hinterlassen wird, zu minimieren.“
Das Argument spräche vor allem für den sofortigen Ausstieg aus der Atomtechnik. Doch soweit ist der politische Realismus in Hanau noch nicht gediehen. Stoll hofft, mit altbekannten Argumenten (Reduktion des radioaktiven Materials) die gegenwärtigen Widerstände gegen die Uran-Wiederaufbereitung überwinden zu können. Große Chancen räumt er seiner Lieblingsidee freilich nicht ein. Er möchte aber Zeit gewinnen, denn auch die AKW-Betreiber können warten: Frühestens nach dem Jahr 2022 müsse neuer Lagerraum für alte Brennelemente gefunden werden; bis dahin reichten die Kapazitäten der Atomkraftwerke und die Zwischenlager von Gorleben und Aahaus.
Atomdeponien in Granitformationen oder auch in Wüstenregionen (wie von Rußland angeboten) seien in Ruhe zu prüfen. Noch in diesem Jahrhundert aber müsse ein anderes Problem gelöst werden: Die Atomkraftwerke ersticken im Jahr 2000 an schwach- und mittelaktiven Abfällen. Nur ein Prozent der künstlich erzeugten Strahlenbelastung ist dieser Müllsorte zuzuschreiben, die 95 Prozent des Abfallvolumens einnimmt. „Bedauerlicherweise“, schreibt Stoll, sei deshalb „die Betriebsbereitschaft des Schachtes Konrad so dringend geworden“. Niklaus Hablützel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen