Zwischen den Rillen: Abgerutscht, hinaufgekrächzt
■ Späte Arbeiter im Steinbruch Rock: Jawbox, Codeine und Pavement
Das ganze rockende Amerika scheint von Folkies und Grungern besetzt zu sein. Das ganze? Nein, bei näherem Hinsehen gibt es immer noch genug Bands, die ihre Musik an jedem Hype vorbeimachen. Zum Beispiel Jawbox aus Washington DC, die ihre ersten musikalischen Schritte beim ortsansässigen Dischord-Label machten. Im Gegensatz zu den anderen auf diesem Label beheimateten Bands wirkten Jawbox allerdings schon immer wie ein Schlafpülverchen, aber ein angenehmes, wohlig schläfrig machendes. Ihre bisherigen (zwei) Platten waren überaus anständige, der guten Melodie frönende Rockäußerungen, die nicht ganz in die pulsierende, stop-and-goende, Hardcore neu definierende Washington-DC-Gemeinde passen wollten.
Logisch, daß schnell der Ruf der mit dem Scheckbuch wedelnden Industrie folgte und für Jawbox eine saubere Mainstream- Karriere vorsah. Doch Jawbox elehren uns eines Besseren, haben urplötzlich aus jeder Ecke ihres Sounds die Corporate-Identity-Partikel gefegt und hauen den erwartungsfrohen Freunden des gepflegten Gitarren-Statements ihr ganz persönliches „In Utero“ um die Ohren... „For Your Own Special Sweetheart“ heißt die Platte, ein rauhes, opulentes, manisch wirkendes, in Richtung Rock schielendes Hardcore-Gemälde, dem gezielt der Rahmen gesteckt wurde. Die meisten Stücke sind dicht gewobene, festgezurrte und klaustrophobische Arrangements – Wutausbrüche, deren Energie in die richtige Form umgeleitet wurde.
Was nicht heißt, daß es keinen Platz für Leicht- und Luftigkeiten gibt. Denn manchmal werden auch die Leinen gelockert, dürfen Baß und Gitarre losperlen, gibt es popähnliche Stücke wie „Cooling Card“ oder „Reel“, Songs, die sich (ein letztes Mal?) der „guten Melodie“ anbiedern und wie Relikte aus vergangenen Dischord- Tagen wirken. Mit „Savory“ haben Jawbox sogar eine wahre Hymne komponiert, peinlich verzweifelt, na klar, und quasireligiös bis semipolitisch. „Hey angel, consider your position..., hey angel, fly over and bless me“, verkündigt Sänger Jay Robbins, um am Ende des Songs geläutert und einsichtig zu konstatieren: „one hand will wash the other“.
Weiterhin auf ihrer, oft „Slow- core“ genannten, Kriechspur befinden sich Codeine, ein Trio aus New York City. „The White Birch“ ist ihr zweieinhalbtes Album und sollte eigentlich schon vor einem Jahr herauskommen. Doch der Drang nach Perfektion und der Ausstieg ihres Drummers Chris Brokaw (jetzt bei Come) sorgten für Codeine-typische Verzögerung. Immerhin reichte es für ein Mini-Album, das man als „Abfallprodukt“ des jetzt veröffentlichten „The White Birch“ verstehen konnte.
Das Album setzt erneut und in suchterzeugender Tradition ein negatives Vorzeichen vor das olympische „Schneller, Höher...“, dehnt sich in jeder Songfaser bis in die letzten Ruhezonen, um einzig und allein der Entdeckung der Langsamkeit zu huldigen. Codeine machen Zeitlupenaufnahmen in Rockformat und schaffen dabei Soundräume, in denen sich Laut und Leise nur in Extremen mitteilen, in denen ruhige, instrumentelle Tonmalereien mit einem fast geflüsterten Gesang korrespondieren, unterbrochen von Noise-Passagen, die windkesselhaft in Mark und Bein gehen.
Zorn, Ärger und Wut sind dabei – nach eigener Aussage – die Motoren für ihr Schaffen. Das ist diffus genug und sorgt bei „The White Birch“ nicht unbedingt für befreiende Rock-'n'-Roll-Momente – eher für ein ebenso diffuses Fühlen von „schmerzhafter Intensität“. Große Schleicher für nicht so großartige Stunden.
Anders als Jawbox oder Codeine waren Pavement schon 1992 die große Hoffnung für den haltlosen „Indie“-Hörer, damals, als sie mit ihrem Debüt „Slanted And Enchanted“ eine befriedigende Antwort auf den nicht enden wollenden „Alternative“- undsoweiter-Rock gaben. Pavement wollten mit ihren Songs – genauer gesagt: oft sehr „lose“ wirkenden Songideen – nichts und niemanden auf den berühmten Punkt bringen. Sie machten einen Rock (jawohl!), der sich nicht anbiederte, der manchmal muffelig und widerspenstig war und insofern mighty, als daß sich seine Schönheit erst nach und nach und, frei nach Hermann Burger, „allmählich als Idee beim Hören verfertigte“.
Die Hoffnung von damals trog nicht, denn der Nachfolger „Crooked Rain/Crooked Rain“ (heißt wirklich so) schließt an den Vorgänger nahtlos an und wirkt genauso verspielt, nur noch eine Idee offensichtlicher und prahlerischer. Da wird ordentlich mit den Pfründen des großen Songwritings, der potentiellen und smashenden Hits gewuchert, werden Ahnungen vermittelt und Möglichkeiten angedeutet.
Allein der Beginner „Silence Kid“ könnte schon der große Ohrenschmaus werden, entspannt swingen und jubilieren die Gitarren, um dann doch gebrochen, abgehackt und unentschlossen auszubrummeln. Es gibt auch einen Schmachtfetzen erster Güte („Stop Breathin'“), dem zu seinem Ende hin ziemlich arg der Garaus gemacht wird. Dann aber wieder durchkomponierte, warme, vorfrühlingshafte Gehörspülungen, bei denen man vor „Dekonstruktion“ (auch so ein Modewort) ziemlich sicher sein kann.
Pavement kennen alles, haben jede Fußnote in der Rockgeschichte schon gelesen oder gehört, zitieren die Stones, Swell, R.E.M. und natürlich Sonic Youth; sie drehen und suhlen sich in Altbekanntem und pressen aus diesem musikalischen Schatz dann noch ihr ganz eigenes Destillat. Dabei scheuen sie sich auch nicht mehr, The Fall, die Band, bei der sie vorgeblich am meisten abgeguckt haben, offensiv zu imitieren. „Hit The Plane“ heißt diese Hommage (?): stumpf-monotone Gitarre, Megaphon-entstellte Stimme, und fertig ist das Mark-E.-Smith-Zitat. Ansonsten ist Sänger Steve Malkmus stimmlich vom großen Mark E. weit entfernt und bewegt sich mittlerweile durchweg in gefährlichen Höhen eines J. Mascis, von denen er oft genug abrutscht, aber auch wieder hinaufkrächzt.
Damit verpaßt er Pavement die melancholisch-leidende Note, wo sonst nur Coolness, Arroganz und die souveräne Beherrschung der Mittel regieren. „I'm in a rock--“ steht auf dem collagegeschnipselten Cover, und dann darf man ergänzen: brigade, shop, opera, theatre... Gerrit Bartels
Pavement: „Crooked Rain/Crooked Rain“ (Big Cat/Rough Trade).
Jawbox: „For Your Own Special Sweetheart“ (Atlantic/City Slang/Efa).
Codeine: The White Birch (Sub PoP/Efa).
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