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Schwarten für den Speckgürtel

■ Das „Entwicklungsgutachten Hamburg / Storman 2010“: Die geplante Zersiedelungsoffensive für das Umland Von Erhard Olbraasch jr.

Eine U-Bahn nach Glinde? Ein Gewerbegebiet an der Müllverbrennungsanlage Stapelfeld? Busbeschleunigung in Barsbüttel, ein Biotop auf dem Panzerspielplatz Höltigbaum, ein bauliches Zusammenwuchern von Boberg, Lohbrügge und Reinbeker Redder? „Erstmals werden ökologische Fragen nicht untergebuttert!“ jubelte die taz hoffnungsfroh am 13. Juli 1993. Das Wochenblatt „Sachsenwald“ vermeldete in bester Bismarckscher Tradition gleich einen „historischen Akt“, während die Stormaner Nachrichten, gewohnt vorsichtig, zurückhaltend festhielten: „Es ist die Nagelprobe für gutnachbarlichen Umgang.“ Das Hamburger Abendblatt, strikt auf den Metropolenleser ausgerichtet, liebte es handfester und titelte: „Mit der U-Bahn nach Reinbek...“

Der Gegenstand derartig vielfältiger medialer Aufmerksamkeit ist bislang bloß ein ordentlicher Berg Papier, viele hundert Seiten, Karten und Pläne stark: „Das Entwicklungsgutachten Hamburg/Storman 2010“. Die Vorschußlorbeeren, von der Presse bei der Vertragsunterzeichnung Ende 1992 und der Präsentation erster Zwischenergebnisse im Sommer 1993 schon reichlich verteilt, dürften in den kommenden Wochen neue Blüten treiben. Das Gutachten ist fertig und wird derzeit in den Gremien heftig und heiß diskutiert.

Hitze ist dem Gegenstand durchaus angemessen. Schließlich geht es um die Zukunft einer ganzen Region, um Wohnen, Gewerbe, Verkehr, Natur und Altlasten. Erstmals haben Stadt-, Landschafts- und Verkehrsplaner ein länderübergreifendes Zukunftsbild der Region im Hamburger Osten entworfen und dabei sehr konkrete „Szenarien für die siedlungsräumliche Entwicklung“ formuliert. Erstmals sind die Weichen in der „Metropolregion“ planerisch konkret auf ein abgestimmtes Wachstum von Stadt und Umland gestellt. Erstmals haben Hamburg, Schleswig-Holstein, Landkreise und Gemeinden gemeinsam ein regionales Entwicklungskonzept von einem interdisziplinären Gutachterteam beackern lassen. Erstmals standen von Beginn an Kriterien wie „umweltschonende Mobilität“, sparsamster Flächenverbrauch und Mischnutzung ganz im Vordergrund, lautete die alleroberste Leitmaxime: „Umweltverträgliche räumliche Entwicklung.“

Anlaß all dieser Erstmaligkeit: Deutsche Einheit, europäischer Binnenmarkt und die weltweite Armuts- und Kriegswanderung haben die Zeichen in der Metropolregion Hamburg auf nachhaltiges Bevölkerungswachstum gestellt. Ging beispielsweise das letzte Stadtentwicklungskonzept, es stammt aus dem Jahr 1980 und soll in Kürze durch ein nagelneues ersetzt werden, von einer Einwohnerzahl Hamburgs im Jahr 1995 von zwischen 1,3 und 1,45 Millionen aus, so werden es real deutlich über 1,7 Millionen sein. In den Großraum Hamburg werden nach heutiger Expertenmeinung in den nächsten 10 bis 15 Jahren 200.000 Menschen einwandern. Neue Planungsmethoden in Schleswig-Holstein und die Gründung der Stadtentwicklungsbehörde (Steb) in Hamburg (im Jahr 1991) waren die Antworten der norddeutschen Politik auf diese neue Herausforderung.

Während die Steb ihre Arbeiten an den Planungsgroßwerken „Regionales Entwicklungskonzept“ und „Stadtentwicklungskonzept“ aufnahm, ging man im Osten Hamburgs noch einen Schritt weiter. Im Vorgriff auf das, was den anderen Randsegmenten Hamburgs noch bevorsteht, sollte hier schon einmal ganz konkret regionale Zukunft begutachtet und geplant werden. Die Vorgabe an die Planer: Schafft Platz für weitere 35.000 Menschen und guckt, ob ihr 100 Hektar Gewerbefläche unterbringen könnt. Erzählt uns, wie wir dabei den Naturraum im Gleichgewicht halten und wie wir mit den zusätzlichen Verkehrsproblemen fertig werden.

Das Ergebnis wirkt auf den ersten Blick vielversprechend: Hamburg und sein Umland sollen sich entlang bereits bestehenden Achsen entwickeln. Dabei werden Siedlungslagen „arrondiert“, Gewerbeflächen Richtung „Mischnutzung“ getrimmt und der Verkehr ganz auf den öffentlichen Nahverkehr ausgerichtet. Drei „Achsen“ sollen dabei „verdichtet werden“: Die Achse Rahlstedt-Stapelfeldt-Braak wird südlich der Bundesstraße 435 flickenteppichmäßig mit Wohn- und Gewerbeblocks aufgefüllt. Die Achse Barsbüttel wird Richtung Willinghusen mit 30 Hektar Wohnen, 20 Hektar Gewerbe und einer südlichen Umgehungsstraße optimiert. Das Hauptaugenmerk aber gilt der Achse Öjendorf-Oststeinbek-Glinde-Neuschönningstedt, schon heute ein amorpher Siedlungsbrei, der jetzt massiv ausgebaut werden soll.

Bei den ersten öffentlichen Debatten um das Gutachten gab es unterschiedliche Reaktionen. Die Grünen nörgelten am 18.Januar in gewohnter Wirtschafts- und Wohnfeindlichkeit auf der Sitzung der Bezirksversammlung Mitte: Das Planwerk, so GALier Volker Nienstedt, lasse jeden Ansatz für ein neues Verhältnis von Metropole und Umland vermissen, bestehe weitgehend in der Fortschreibung und Bestätigung bereits existierender Baupläne und Investitionsvorhaben. Er schloß sich der Kritik der grünen Fraktionen in den Hamburger Randkreisen an, die seit langem einen Stop der Gewerbegebietsplanung im Umland fordern.

Ganz anders nahm die Sache am vergangenen Mittwoch der Wirtschaftsausschuß des Landkreises. Hatten die Ausschußmitglieder im Oktober 1993 bei der Vorlage des Zwischenberichts noch gemault („Das ist alles sehr wenig konkret“) und Klaus Plöger, der SPD-Kreisvorsitzende, harsche Kritik geübt, so herrschte jetzt allgemeine Zufriedenheit. Klaus Plöger holte in der Glinder Zeitung denn auch tief Luft: „Barsbüttel kann aufatmen.“ Erfreut registrierte Plöger, daß die Gutachter Umgehungsstraßen spendieren wollen und die alten Wachstumsplä-ne der Gemeinden ein bißchen schlanker frisierten.

Ein Prinzip, welches das Gutachten auch auf die anderen Teile der Region anwendeten: Die Flächenwünsche der Gemeinden und ihre Schubladenträume für Wohnen, Verkehr und Gewerbe wurden sorgfältig gesichtet, und dann, Hektar für Hektar, Umgehungsstraßenkilometer für Umgehungsstraßenkilometer, „optimiert“. Das freute die beteiligten Institutionen: Jede Gemeinde kriegt etwas – und alle gemeinsam dürfen sich mit dem Prädikat „umweltverträgliche, länderübergreifende Planung“ schmücken.

Diese traute Idylle von Politik und Planung verliert jedoch schnell an Glanz, wendet man sich den Innereien des Gutachtens und seinen voraussichtlichen Konsequenzen zu. Hinweise, wie Wohnen, Wirtschaft und Verkehr in der Metropolregion Hamburg neu und zukunftsweisend geordnet werden könnten, sucht das fachkundige Expertenauge vergebens. Warum gerade 35.000 Menschen und 100 Hektar Gewerbefläche hier? Welche Art von Gewerbe? Warum Gewerbeflächen an Autobahnen? Was bedeutet der Begriff „Achse“? Wäre es, wie es viele Planer seit langem fordern, nicht viel sinnvoller, zu einem „polyzentrischen Raummodell“ zu kommen: sprich Hamburg und sein Umland als Netzwerk verdichteter Knoten zu entwickeln und von dem Konzept der Siedlungsbänder wegzukommen, die sich wie Krakenarme ins Umland fressen und die fatale Eigenschaft haben, in den sogenannten „Achsenzwischenräumen“ zuzulaufen? Eine Tendenz, der auch das Entwicklungsgutachten Stormann/Hamburg 2010 frönt, in dem es allüberall „Arrondierung“ und „Ergänzung“ zuläßt und fordert.

Dabei schämten sich die Gutachter nicht, zukünftige Entwicklungen einfach auszublenden, wenn sie den Auftragshorizont überschritten. Der Verkehrsplaner betont: „Den Einfluß deutlich veränderter Rahmenbedingungen auf das Verkehrsgeschehen zu prognostizieren, ist nicht Gegenstand dieser Untersuchungen. Ein derartiger Untersuchungsansatz, der z.B. dem derzeit in Bearbeitung befindlichen Verkehrsentwicklungskonzept Hamburg zugrunde liegt, hätte ein anderes methodisches Vorgehen erfordert.“ Kurz: Die Straßenbaupläne und das kaum finanzierbare U-Bahn-Bonbon Richtung Glinde berücksichtigen nicht einmal die aktuellen Szenarien der Baubehörde für den Stadt-Umland-Verkehr.

Hamburgs Oberbaudirektor Egbert Kossak hat das grundlegende Problem dieser Gutachtenkonzeption in seinem Buch „Stadt im Überfluß“ kürzlich sehr prägnant auf den Punkt gebracht. Kossak: „Der stetig gewachsene Flächenverbrauch für alle Lebensbereiche der Hamburger – für das Wohnen, die Arbeitsstätten, den Verkehr, die öffentlichen Versorgungs- und Dienstleistungseinrichtungen – hat die Stadt an die ökologisch und sozialpolitisch noch vertretbaren Grenzen der Stadterweiterung in die noch unbebaute Landschaft und zu Lasten stadtnaher Freiräume gebracht. Jeder Hamburger verbrauchte 1992 dreimal soviel Fläche wie vor 50 Jahren. Die Stadt hat im Flächenverbrauch bedenkenlos über ihre Verhältnisse gelebt.“ Kossak weise: „Würden die Flächenansprüche, die bis jetzt angemeldet sind, bis ins Jahr 2005 fortgeschrieben, ergäbe sich ein zusätzlicher Flächenverbrauch von 20 Quadratkilometern“. Zum Vergleich: Ganz Hamburg umfaßt gerade 753 Quadratkilometer. Und: Hamburg ist heute die am dünnsten besiedelte europäische Großstadt.

Konsequenzen aus dieser Erkenntnis sucht man im Storman-Konzept vergeblich. Im Gegenteil, hier wird die traditionelle Flächenverbrauchspolitik in leicht modernisierter Verpackung bedenkenlos fort- und ins Umland hineingeschrieben. Die Steb kann diese Kritik nicht nachvollziehen. Steb-Regionalplanungschef Jürgen Mantell, derzeit im Wettrennen um den Landesvorsitz der Hamburger SPD, ist noch immer stolz auf „ein Gesamtkonzept für diesen Raum, das über die Landesgrenzen greift“. Steb-Landschaftsplaner Joachim Malecki glaubt unverdrossen: „Das Wachstum geht nicht zu Lasten der Natur. Dazu gehört, daß der dörfliche Charakter einiger Gemeinden, wie beispielsweise der in Stapelfeld, erhalten und als identifizierbare Heimat erkennbar bleiben muß.“

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