: Mauerblümchen Bildungspolitik
■ Geplanter Wahlkampfhit reißt niemanden mehr vom Hocker
Hannover Unter den großen Themen sollte die Bildungspolitik wie schon früher ein Wahlkampfhit werden. Parteistrategen hatten heiße Eisen wie Orientierungsstufe, Gesamtschule oder Unterrichtsversorgung auf die je nach Sichtweise gefärbten Wahlflaggen schreiben wollen. Noch im Vorwahlkampf setzte SPD-Landeschef Johann Bruns der Themenvorgabe „Finanzen, Bildung und Innere Sicherheit“ seines CDU-Widerparts Josef Stock ein beherztes „Finanzpolitik, Bildungspolitik und Innere Sicherheit“ entgegen. Doch die Bildungspolitik verkommt in der Endphase des Wahlkampfs gegen Themen wie Arbeitslosigkeit zum Mauerblümchen – durchaus zur Beruhigung vieler Experten.
Als wahlentscheidende Themen galten 1990 unter anderem Kindertagesstätten und Lernmittelfreiheit. Den deutlichen Aussagen von SPD und Grünen hierzu, gleichwohl hinterher abgeschwächt, wurden wichtige Stimmenprozente für den Machtwechsel zugeschrieben. Auch die Opposition aus CDU und FDP räumte nach der 90er Niederlage ein, diese Themen falsch eingeschätzt zu haben.
Entsprechend turbulent sind während der Legislaturperiode die Debatten um rot-grüne Prestigeprojekte wie Schul- und Kita-Gesetz oder Lernmittelfreiheit verlaufen. Stichworte wie „Schulkampf“ (um die Anerkennung von Gesamtschulen), „Wahlbetrug“ (wegen des geringen Kita-Personalkostenanteils) oder „fehlende Sozialstaffel“ (bei der Lernmittelfreiheit) beherrschten monatelang Parlamente und Medien.
Inzwischen haben sich viele Wogen geglättet. Solange die Kommunalpolitiker – gleich welcher Parteicouleur – ihre Schule im Dorf behalten, scheint die Schulform zweitrangig. Sie lassen ihre Kollegen vom Bildungsressort gewähren. Die vielerorts aktuellen Auseinandersetzungen um gestaffelte Kita-Gebühren versucht die Opposition allerdings aus den Kommunen auf die Landesebene zu ziehen.
Die Auseinandersetzungen blieben für die Beteiligten nicht folgenlos. Kultusminister Rolf Wernstedt (SPD) stand nach zwei spektakultären Querschlägen seines Ministerpäsidenten Gerhard Schröder (SPD) vor dem Aus durch Aufgabe. Wernstedts Kontrahent im Parlament und Vorgänger im Amt, CDU-Bildungsexperte Horst Horrmann, wurde ebenfalls „von oben“ ausgebremst. Er fiel der Frauenquote im CDU-Schattenkabinett und einer unentschlossenen Haltung zum Spitzenkandidaten der Union, Christian Wulff, zum Opfer. Direkte Folge für den Wahlkampf: Wochenlang herrschte von Seiten der CDU-Fraktion praktisch Funkstille zum Thema Bildungspolitik.
Neue Handlungsträger sind kaum in Sicht. Wulffs Bildungsfrau im Schattenkabinett, Annette Schavan, ist nach anfänglich recht eigenständigen Positionen etwa zur Orientierungsstufe, die sie nicht gleich abschaffen wollte, auf die Wulff-Linie geschwenkt. Dieser hat den Versuch unternommen, gegen Schröders vehemente Vorstöße in Sachen Lehrerarbeitszeit ein öffentlichkeitswirksames Konzept zu setzen. In der eigenen Fraktion gehörte daraufhin Kopfschütteln dem Vernehmen nach zu den milderen Reaktionen.
Bleiben für ein Wahlkampfthema Bildungspolitik also noch die Betroffenen, neben den lobbylosen Schülern und ihren Eltern vor allem die Lehrer. Die umstrittene Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung in Zeiten steigender Schülerzahlen und Lehrerarbeitslosigkeit böte auch ein Thema. Doch gegen eine laut Umfragen breite Zustimmung in der Bevölkerung für die wöchentliche Mehrstunde und ein schlechtes Lehrerimage scheinen gerade verbissen kämpfende Lehrerverbände eher machtlos.
Gerd Roth/dpa
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