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Das vollkommene Inselglück

■ Auch die Großen kriegen ihre blaue Lagune, im „Exile“

Das Wasser spielt die wichtigste Rolle in Paul Cox' Wettbewerbsfilm „Exile“. Unermüdlich klatschen die Wogen gegen die Klippen der kleinen Insel, auf der Peter Costello (Aden Young) in der Verbannung lebt. Statt ihn zu hängen, schickte man ihn auf eine kleine Felseninsel und verbietet ihm bei Todesstrafe die Rückkehr aufs Festland. Sein Vergehen bestand darin, daß er Schafe gestohlen hat, um den Brautpreis für seine Geliebte, Jean, aufzubringen. Von der menschlichen Gemeinschaft verstoßen und von seiner Geliebten für immer getrennt, überdauert er jetzt wie Antigone im Exil zwischen dem symbolischen und dem realen Tod. Immer wieder steht er an der Klippe und schaut auf das Tosen der Brandung. Das kann einen als Zuschauer reichlich nervös machen, anfangs.

„Exile“ ist nicht gerade der Film, der durch seinen Plot besticht. Es ist reichlich öde auf der Insel. Aber wenigstens muß Peter nicht eine dreiviertel Stunde mit dem Bus fahren, um ins Kino zu kommen. Telefone, Kebab-Stände und verwirrte Kollegen, die einen fragen, ob man das mit der Resnais-Kritik ernst gemeint habe, gibt es auch nicht. Denn das Ganze spielt in Australien, irgendwann gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts. Mit der Zeit gewöhnen wir uns mit Peter an das unablässige Rauschen des Meeres. Das Geräusch bekommt etwas Beruhigendes. Die Seele wird ausgewaschen. Wären da nicht diese Halluzinationen. Immer wieder schiebt sich Jeans Bild quälend vor sein geistiges Auge, einmal sogar als Wasserleiche. Die Verwirrung des Geistes gipfelt in der Erscheinung eines Geistlichen. Ein zurückgezogener Mönch, der vor dreihundert Jahren die Insel bewohnte und jetzt nicht mit gut gemeinten Ratschlägen geizt. Durch den Schleier des Metaphysischen hindurch, versteht sich. Die spirituelle Umkehr gibt Peter neue Kraft, und er baut sich wie Robinson eine Hütte, mit Namensschild.

Das ist alles gar nicht so abwegig wie es klingt, denn Regisseur Paul Cox ringt dem faden Inseldasein beschauliche Bilder ab. Durch behutsame Überblendungen schafft er die Stimmung einer allgegenwärtigen Einkehr, in der die Zeit stillsteht. Man muß das nicht mögen — schließlich steht nicht jeder auf Meeresrauschen — aber eine melancholische Grundstimmung beim Zuschauer erleichtert den Zugang. „Exile“ ist Kino der Askese.

Schließlich hat der Herr im Himmel ein Einsehen und sendet Peter ein Weib zu seiner Erquickung. Sie kommt mit einer Ziege im Ruderboot, und die beiden haben einen strammen Jungen. Die Geburt bringt sie ganz gut zuwege, denn Mary ist eine toughe Rothaarige. Am Ende steht das vollkommene Inselglück ohne Türenknallen und überhöhte Telefonrechnungen. Fremdgehen erübrigt sich bei der dünnen Besiedelung.

Der Film ist, alles in allem, nicht vollkommen verkehrt. Man kann es so sehen, daß Peter, der lebende Tote, der alles verloren hat und von allem Diesseitigen Abschied nahm, schließlich alles wiederbekommt. Oder man kann den Film als Erwachsenen-Version der „Blauen Lagune“ betrachten. Manfred Riepe

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