: Der Krieg wird verlagert
■ Die Serben verstärken ihre Angriffe auf Städte im Norden und Westen Bosniens
Sarajevo (dpa/AP/AFP) – Für die Ruhe in Sarajevo zahlen im Moment Bosnier in anderen eingeschlossenen Städten des Landes. Die spürbare Entspannung in der Hauptstadt ist am Freitag von schweren Angriffen der bosnischen Serben im Norden und Westen Bosniens überschattet worden. „Offenbar haben die Serben bereits einen Teil ihrer schweren Waffen von Sarajevo in den Norden des Landes abgezogen und setzen sie jetzt dort ein“, mutmaßte ein Sprecher des UNO-Hauptquartiers in Zagreb. „Dies ist nun das Ergebnis der mühsamen Diskussion, ob die Belagerungsgeschütze bei Sarajevo abgezogen oder unserer Kontrolle unterstellt werden sollten.“
Die Friedenstruppen der UNO gaben sich am Freitag überzeugt, daß die Teilentmilitarisierung in Sarajevo bis zum Ablauf des Nato-Ultimatums am Montag morgen um 01.00 Uhr mitteleuropäischer Zeit abgeschlossen sein dürfte. Die Bestätigung der UN-Schutztruppen (Unprofor), die Serben hätten mit ihrem Rückzug aus der Umgebung Sarajevos begonnen, fußt nach Angaben eines hochrangigen Offiziers jedoch lediglich auf einem Lkw-Konvoi, der am Mittwoch abend gesichtet wurde. Im Gegensatz zu den Angaben von Unprofor- Sprecher Bill Aikman sei am Donnerstag kein einziger Konvoi gesichtet worden, der die Umgebung Sarajevos verlassen habe, fügte der Offizier hinzu. Am Freitag sollten an allen befahrbaren Wegen unbewaffnete UN-Militärbeobachter stationiert werden.
„Wir werden heute sehen, ob die Serben es ernst meinen“, erklärte der Offizier. Es gebe jedoch keinen Zweifel, daß ein ausziehbares Geschütz noch nicht erfunden sei, das auch in einem Lastwagen untergebracht werden könne.
Serbenführer Radovan Karadžić hatte dem Abzug der serbischen Artillerie am Vorabend überraschend zugestimmt, nachdem ihm der russische Präsident Boris Jelzin die Beteiligung russischer Blauhelme an der Überwachungsaktion zugesagt hatte. „Bis heute wissen wir aber noch nicht, ob die Russen aus den besetzten Gebieten Kroatiens tatsächlich nach Sarajevo verlegt werden“, sagte ein UNO-Sprecher. Schwere Artillerieangriffe und wiederholte Vorstöße serbischer Infanterie- und Panzerverbände wurden unterdessen von den muslimischen Verteidigungslinien rund um das Industriegebiet von Tuzla gemeldet. UNO-Beobachter berichteten von Hunderten von Granateinschlägen und erbitterten Gefechten an den meisten Abschnitten dieses Frontabschnitts. Auch die Stadt Tuzla sowie der Flughafen waren nach diesen Angaben wiederholt unter Beschuß geraten.
Auch im Westen des Landes tobten erbitterte Gefechte um die Muslim-Enklave Bihac. Die muslimischen Behörden appellierten über den bosnischen Rundfunk an die Politiker der internationalen Gemeinschaft, die serbischen Angriffe notfalls mit Gewalt zu stoppen. „Alles blickt nach Sarajevo, und wir in Bihac bekommen diese Unaufmerksamkeit des Westens in Form von verstärkten serbischen Angriffen zu spüren.“ Die in der Enklave stationierten UNO-Truppen bestätigten die schweren Kämpfe sowie die direkten Artillerieüberfälle der Serben auf die Stadt Bihac. Tagesthema Seite 3
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