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Kein Stadtraum, sondern Leere im Zentrum

■ Das Stadtforum fordert eine Revision der Planung öffentlicher Räume und kritisiert Sony-„Piazza“

„Wenn er voll Menschen ist, wird der Raum zum Platz.“ Goethes Definition für die Sicht auf den öffentlichen Raum gilt in Berlin derzeit wenig. Die sozialen und kommunikativen Perspektiven für die Planung großer Boulevards und öffentlicher Plätze, wo man verweilt oder sich trifft, werden überlagert von Verwertungsinteressen privater Investoren und nostalgischen Gestaltungsregeln. Architektonische Binnenräume, etwa die absperrbare und überdachte Sony-Piazza am Potsdamer Platz, wie der Ostberliner Maler XAGO am Wochenende im Stadtforum kritisierte, „verstellen den öffentlichen Raum als Aktionsraum“ und Besitzstand der Stadtgesellschaft.

Die Stadtentwicklung hat sich das Thema aus der Hand nehmen lassen: Der öffentliche Raum „befindet sich in der Krise, weil sich die Gesellschaft in der Krise befindet“, sagte der Architekt Hardt Waltherr Hämer. Zwar seien die Pläne zur Umgestaltung der Brachen und großen öffentlichen Räume, beispielsweise für den Alexanderplatz und den Potsdamer Platz, debattiert worden. Die Stadt und die Öffentlichkeit selbst, befand Hämer, seien in diesen Vorstellungen allerdings „abwesend“ geblieben oder bewußt ausgegrenzt worden.

In der Konsequenz führe das dazu, daß bei Bauvorhaben anstelle von Urbanität ein Vakuum entstünde. So würden keine Plätze und Areale entworfen, die von Häusern und einem städtischen Umfeld gefaßt sind. Hämer: „Um den Potsdamer Platz oder den Pariser Platz entsteht nicht Stadt, sondern Leere.“ Statt dessen „vereinnahmen die großen Unternehmen und private Bauherren mit ihren Marktinteressen die öffentlichen Flächen“. Lebendigkeit würde so ausgeschlossen. Auch beim Alexanderplatz, ergänzte der Soziologe Harald Bodenschatz, bedeute der „städtebaulich verordnete“ Hochhausschub den Verlust jeglicher historischer und noch vorhandener sozialer Strukturen im Umfeld. Der Alexanderplatz müsse daher als öffentlicher Raum im Verhältnis zur nahen Wohngegend weitergebaut werden.

Eine Revision der Planungen für öffentliche Räume in Berlin forderten auch Hans Adrian, Baustadtrat aus Hannover, und der Architekt Bernhard Schneider. Die Typologie des öffentlichen Raumes beinhalte noch andere Formen und Funktionen als nur die für den Kommerz oder den Verkehr, betonte Adrian. Er plädierte für laute und leise, enge und weite Stadtzonen. „Erst der Kontrast zwischen stillen und lebendigen Orten ist wirklich urban.“ Eine Abfolge von Geschäftsplätzen, etwa vom Potsdamer Platz über den Leipziger Platz bis in die Leipziger Straße hinein, lehnte Adrian ab. Schneider wandte sich gegen die sogenannten „Gestaltungsregeln“ von Bausenator Nagel, den Pariser Platz wieder in den ursprünglichen Proportionen entstehen zu lassen. Dieses „Korsett“ werde zeitgemäßen Architekturen und heutigen funktionalen Anforderungen nicht gerecht. Die Wiederbelebung von Historienbildern erschwere den Umgang mit dem Ort.

Absagen erteilten Mitglieder des Stadtforums auch den Rekonstruktionsplänen Hans Kollhoffs für die östliche Leipziger Straße und den Verniedlichungsideen für das Marx-Engels-Forum. Harald Bodenschatz stellte zur Gestaltung der unmaßstäblichen Weite des Marx-Engels-Forums einen Plan vor, der die zentrale Grünfläche bewahrt, ihr aber eine bauliche Fassung entlang der Karl-Liebknecht-Straße und Rathausstraße verleiht. Die geschichtlichen Diskontinuitäten des Ortes blieben so erfahrbar. Berlin behielte einen öffentlichen Raum als „Forum“ und als Kristallisationspunkt der Mitte. Rolf Lautenschläger

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