: Elvis unterliegt dem Urmel
■ Wie schon beim Paarlauf sorgten die Preisrichter auch beim Eiskunstlaufen der Männer für Unmut: Der brave Klassiker Urmanow gewann vor Springmaus Stojko
Berlin (taz) – „As Time goes by“ aus „Casablanca“ hatte sich der viermalige Weltmeister Kurt Browning als Musik für seine Kür ausgesucht, ohne zu ahnen, daß er damit genau das passende Motto für seinen Olympiaauftritt, und den der Kollegen Boitano und Petrenko gleich mit, gewählt hatte. Ebenso wie die beiden aus dem Profilager zurückgekehrten Olympiasieger von 1988 und 1992 hatte der 27jährige Kanadier das Technikprogramm total verhauen, ebenso wie sie rehabilitierte er sich in der Kür und sprang vom 12. noch auf den fünften Rang.
Viktor Petrenko, Sieger von Albertville, zauberte ebenfalls eine prachtvolle Kür aufs Eis und verbesserte sich vom neunten auf den vierten Platz, Brian Boitano, Katarina Witts Partner aus dem Film „Carmen“, machte zwei Positionen gut, wurde Sechster und grämte sich nicht allzu sehr: „Bei der Olympiade braucht man Hunger. Aber in der Mitte des Programms habe ich gedacht, daß es eigentlich nicht so schlimm ist, keine Medaille zu gewinnen.“ Kunststück, schließlich hat er schon die goldene von Calgary '88.
Browning hat noch kein olympisches Metall und war dementsprechend sauer. „Ich habe viel geweint“, tat er kund, und besonders ungnädig begutachtete er die Darbietungen der nächsten Eislauf- Generation, die die Medaillen abschleppte: „Das ist Mischmasch.“ Tatsächlich waren es bei der Kür noch einmal die Veteranen, die den meisten Glanz versprühten, gegen die Sprunggewalt eines Elvis Stojko (21) oder die Kreativität eines Philippe Candeloro (20) jedoch nichts zu bestellen hatten. Ironie der Preisrichter, daß ausgerechnet Alexej Urmanow (20) Gold gewann, der ein biederes, klassisches Programm mit kleinen Fehlern darbot und dabei versuchte, durch groteskes Armwedeln Anmut vorzutäuschen. Die Preisrichter, allem Altbekannten aufgeschlossen und allem Neuen traditionell abhold, hielten das Gefuchtel für Kunst und setzten „Urmel auf dem Eis“, wie er auch genannt wird, über die B-Note auf Platz eins. Peter Krick, Sportdirektor der Deutschen Eislauf-Union, war empört und stürmte aus der Halle: „Es ist unmöglich, den Urmanow vor den Stojko zu setzen. Das schau' ich mir nicht länger an.“
Stojko, das Karate-Kid mit dem bedauerlichen Vornamen, hatte sich den Weg zum obersten Treppchen allerdings auch selbst durch eine Entscheidung verbaut, die eher der den asiatischen Kampftechniken zugrundeliegenden Weisheit geschuldet war als jener Risikofreude, die Stojkos Vorbild Bruce Lee verkörpert. Als einziger beherrscht der Kanadier, der den schwarzen Karate-Gürtel besitzt und auch so springt, die Kombination des vierfachen Toe-loop mit dem dreifachen. „Ich werde sie springen“, hatte er vor seiner Kür nach der Musik von Bruce-Lee- Filmen angekündigt. „Ich will aufregen, jeden auf der Kante seines Sitzes halten.“
Als ihm der dreifache Axel zu Beginn aber nur doppelt geriet, entschied er sich jedoch, nicht das Risiko einzugehen, auch noch den vierfachen Toe-loop zu verpatzen, und kombinierte statt dessen den dreifachen Axel mit dem dreifachen Toe-loop. Die Rechnung ging kurzfristig auf, die Kür verlief fehlerfrei, doch mit dem gelungenen Vierfachsprung hätten die Preisrichter im Endeffekt seine A-Note kaum so weit drücken können, wie sie es taten, um Urmanow an der Spitze zu halten. „Zuerst hatte ich gemischte Gefühle, doch nun freue ich mich über Silber“, meinte Kung-Fu-Elvis nach der Siegerehrung und wartet nun darauf, daß endlich seine geliebten Rückwärtssprünge zugelassen werden. Matti
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