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Heißer Walkampf in Chile

Menschenketten zur Rettung der Meeressäuger / Ab heute berät die internationale Walfangkommission über eine Schutzzone für Wale rund um die Antarktis  ■ Aus Santiago de Chile Thomas Nachtigall

Die Inszenierung am heißen Samstag mittag erregt Aufsehen. Demonstrationen sind selten geworden in Chile – zumal im traditionellen Urlaubsmonat Februar, wo jeder, der kann, an die Strände flüchtet. Jugendliche Greenpeace- Aktivisten in schwarzen Walfischkostümen liegen in einer stilisierten Blutlache vor der Kathedrale auf der Plaza de Armas. „Rettet die Wale – Für eine Schutzzone südlich des 40. Breitengrades“, rufen die Sprechchöre, und die Passanten klatschen Beifall.

Am Abend ein ähnliches Bild in 16 Bade- und Fischerorten der mehr als 4.000 Kilometer langen Küste. Kerzen und Flaschenpostaktionen; Menschenketten formen die Umrisse der großen Meeressäuger.

Die Walkampagne ist populär in Chile. Greenpeace und andere Meeresschützer mobilisieren zur Zeit weitaus mehr Chilenen als Menschenrechtsorganisationen, die immer noch vergeblich für eine Aufarbeitung der Vergangenheit unter Pinochet demonstrieren. 260.000 Unterschriften für ein Walrefugium rund um die Antarktis kamen bislang zusammen; darunter auch die des zukünftigen Präsidenten Eduardo Frei.

Auch die Mehrheit des Abgeordnetenhauses und verschiedene Fischereigewerkschaften unterstützen die Forderung, die ab heute von einem Ausschuß der internationalen Walfangkommission im australischen Norfolk verhandelt wird. Die Schlußabstimmung erfolgt bei der nächsten Plenarsitzung im Mai in Mexiko. Chiles Stimme gilt als entscheidend. Denn die chilenische Delegation war es, die beim letzten Treffen im japanischen Kyoto völlig überraschend gegen die von den Franzosen vorgeschlagene dauerhafte Schutzzone stimmte. Sie befand sich in Gesellschaft der wichtigen Walfangnationen Japan und Norwegen sowie fünf kleiner Karibik- und Pazifikinseln, die nach Informationen von Greenpeace mit 300 Millionen Dollar aus Japan gekauft worden waren.

So bestätigte die Premierministerin von Dominica in mehreren Interviews, daß ihr angesichts der wachsenden Armut fernöstliche Investitionen näher seien als das Überleben von Blau- und Minke- Walen.

Die Gegenstimmen reichten, um das Walreservat rund um die Antarktis vorerst scheitern zu lassen. Auch Chile kam nach der Abstimmung in Kyoto in den Ruf einer käuflichen Bananenrepublik. Ist doch Japan zu einem der wichtigsten Außenhandelspartner geworden, der vor allem durch Überfischung und Rodung der südlichen Regenwälder zur positiven Exportbilanz wie zur rasant fortschreitenden Umweltzerstörung gleichermaßen beiträgt.

Das Außenministerium in Santiago freilich wies Vorwürfe, den Artenschutz auf dem Altar des Wirtschaftsliberalismus und eines chilenisch-japanischen Handelsabkommens geopfert zu haben, empört zurück. Es begründete die Ablehnung der Schutzzone mit einer Bedrohung der nationalen Souveränität in dem von Chile beanspruchten Sektor der Antarktis und auf Feuerland – ein Argument, das allerdings noch nicht einmal von der nationalistischen Rechten oder den Militärs ins Feld geführt wird. Eine hinreichende Erklärung, warum eine Regierungsdelegation entgegen dem Meinungsbild im Parlament agierte, gab es jedenfalls nicht, und so wird damit gerechnet, daß Chile diesmal der Schutzzone zustimmt.

Trotzdem sind die Menschenketten nach Einschätzung von Greenpeace wichtig, um das Bewußtsein für die Ausplünderung des Südpazifiks zu stärken. Der Meeresboden wird durch Fabrikschiffe praktisch abgesaugt; die Artenvielfalt ist in Teilen Südchiles drastisch zurückgegangen, und eine Reihe von Fisch- und Muschelsorten sind vom Aussterben bedroht. Trotz strengen Jagdverbots dümpelt der Blauwalbestand bei weniger als 1.000 Exemplaren vor sich hin.

Gleichzeitig steht das seit 1986 bestehende Moratorium für kommerziellen Walfang immer stärker unter Beschuß. Island ist aus der Walfangkommission ausgetreten. Norwegen hat erklärt, sich nicht länger an die Beschlüsse zu halten, und Japan gibt sich nicht mehr mit der zugestandenen Fangquote für „wissenschaftliche Zwecke“ zufrieden.

So dürfte es kein Zufall sein, daß just zum Zeitpunkt der entscheidenden Abstimmung in Norfolk zwei japanische Forschungsschiffe im chilenischen Valparaiso erwartet werden. Die „Shonan Maru I“ und „II“ haben innerhalb der 200-Meilen-Zone Daten gesammelt, die beweisen sollen, daß sich die Minke-Wale unverhältnismäßig vermehrt hätten. Der Bestand von weltweit 750.000 könne ohne weiteres um 650.000 reduziert werden. Der Druck auf Länder wie Chile, wenigstens eine begrenzte kommerzielle Jagd zu ermöglichen, wächst. Auch die internationale Walfangkommission scheint geneigt, das Moratorium für die Küstenfischerei und den lokalen Konsum aufzuheben.

Um so wichtiger ist nach Einschätzung von Greenpeace die auf mindestens 50 Jahre angelegte Schutzzone südlich des 40. Breitengrades. „Rund um die Antarktis gibt es zwar nur noch zehn Prozent des einstmaligen Bestandes“, begründet ihr Kampagnenleiter Juan Carlos Cardenas die Dringlichkeit, „aber das sind 90 Prozent der noch lebenden Wale“.

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