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Streit der Landvögte um die Charite

■ Der halbe Osten jault bei dem Gedanken "Mildtätige" könnte Westkolonisatoren zum Opfer fallen / FU-Professoren für gemeinsames Lenkungsgremium / CDU will Fusion mit Virchow-Klinikum

Wird nun doch eine der drei Universitätskliniken abgewickelt? Die Krankenkassen wollen, daß aus Kostengründen 2.000 Betten der universitären Hochleistungsmedizin abgebaut werden. Und die CDU hat am Wochenende die Zusammenführung des Klinikums Rudolf-Virchow (UKRV) und der Charité zu ihrem offiziellen Sparvorschlag gemacht. Damit wird ein Vorschlag aufgewärmt, der schon im vergangenen Jahr ad acta gelegt worden war: Nach der zweimaligen Fast-Abwicklung der Charité hatte man sich damals auf einen Erhalt aller drei Einrichtungen in Steglitz, im Wedding (UKRV) und in Mitte (Charité) geeinigt.

Die neuen Begehrlichkeiten beruhen allein auf finanziellen Pressionen. Die Krankenkassen klagen über eine Überversorgung der Stadt mit Universitätsbetten. Die eigentliche Ursache des neuerlichen Klinikstreits liegt aber im jüngsten Hauptstadtbeschluß, den die Hauptstadt mit sofortigen Wegfall der zugesagten Berlinhilfe für 1994 teuer bezahlt: nun sind die Kliniken wieder im Visier der Sparkommissare, weil sie jährlich einen Zuschuß von 600 Millionen Mark fressen und einen baulichen Investitionsbedarf von 1,4 Milliarden Mark haben.

Das betrifft alle Kliniken gleichermaßen: das zu renovierende Uniklinikum Steglitz, das noch nicht fertige Klinikum Rudolf-Virchow und die traditionsreiche, aber baulich heruntergewirtschaftete Charité. Die Baukosten teilt sich Berlin allerdings mit dem Bund – solange es sich um universitäre Einrichtungen handelt, also wenn PatientInnen versorgt werden, gleichzeitig aber geforscht wird.

Ob die Kliniken die schnelle Mark bringen, ist fraglich. Professoren sind bekannterweise auf Lebenszeit berufen. Die Umwandlung etwa des Steglitzer Uniklinikums in ein städtisches Krankenhaus wäre damit verbunden, daß rund 100 Professoren einen anderen Arbeitsplatz bekommen müßten – an dem sie wieder forschen und lehren können. Außerdem müßten die Investitionen der letzten fünf Jahre an den Bund zurückbezahlt werden – rund 150 Millionen Mark. Auch an eine Herabstufung des Weddinger UKRV denkt niemand. Dort sind eben 100 Berufungen abgeschlossen, die das Krankenhaus dereinst zum modernsten in ganz Europas machen sollen.

Möglichkeiten der Einsparung im Bereich von Stellen böte allein die Charité. In Mitte ist die Neuberufung der – bislang – 129 Professoren erst zur Hälfte abgeschlossen. Da ließe sich sparen. Der politische Widerwillen dagegen ist immens: Eine Abwicklung der Charité – das wäre undenkbar. Der halbe Osten jault bei dem Gedanken, auch die ruhmreiche „Mildtätige“ (Charité) könnte nun den Westkolonisatoren zum Opfer fallen. Immerhin bietet sie als einzige einen geschlossenen Campus, auf dem alle Fächer erreichbar sind, und zwar zu Fuß. Und die Charité steht nicht nur für Tradition. Sie ist zu Spitzenmedizin fähig – wie sie Ende 1993 mit zwei Implantationen von Kunstherzen bewies.

Ironischerweise könnte nun genau dies den Infarkt der Charité einleiten. Der mühsam zwischen Universitäten und Politik ausgehandelte Kompromiß des vergangenen Jahres beruhte auf einer ausgeklügelten Aufgabenteilung bei Transplantationen: Jede Klinik möge Nieren verpflanzen, aber Lebern dürften nur am Virchow- Krankenhaus und Herzen allein am „Deutschen Herzzentrum“ (das auf dem Virchow-Gelände angesiedelt ist) transplantiert werden. „Das war ein Beschluß gegen die Charité“, meint deren Sprecherin Marlis Scheunemann. Der Klinik-Kompromiß war also herzkrank von Anfang an. Unglücklicherweise kränkeln auch Berlins Finanzen.

Es soll bereits einen Beschluß des Finanzsenators Elmar Pieroth (CDU) und seines SPD-Kollegen aus dem Wirtschaftsressort, Norbert Meisner, geben, eine der Kliniken als Einsparmasse in die Verhandlungen um den Nachtragshaushalt im März zu tragen. Und der bündnisgrüne Köppl bezeichnet sogar den jüngsten CDU- Vorschlag als „Täuschung der Charité“. Köppl: „Die Charité wird faktisch abgewickelt und das Türschild der Charité angeschraubt.“ Im Hause des Wissenschaftssenators Manfred Erhardt (CDU) wird das heftig bestritten: es sollen zwei gleichberechtigte und eigenständige Fachbereiche Rudolf-Virchow und Charité in der Humboldt-Universität entstehen. Und wie wird gespart? „Am symmetrischen Abbau der Betten“, sagt Erhardts Sprecherin Monika Grütters. Die Professoren der Charité sollen aber alle berufen werden, heißt es.

Bei den Betroffenen herrscht Panik und Hektik gleichermaßen. „Natürlich wird bei der Charité gespart“, stöhnt Marlis Scheunemann. Und an der Freien Universität hat sich flugs eine Gruppe von Professoren gebildet, die eine einzige große „Medizinische Hochschule“ wollen, bestehend aus allen drei Kliniken. Das wäre eine Megaklinik, die sogar noch die biomedizinischen Großforschungseinrichtung in Berlin-Buch mit einschließen soll.

Aber den Professoren geht es, so sagen sie, nicht um die Errichtung einer Berliner Supermedizin. „Wir wollen verhindern, daß es einen Auffahrunfall gibt“, sagt Klaus Hierholzer, einer der Initiatoren. „Wenn es bei den Kliniken an die Substanz geht“, dann müsse der Rest-Spielraum durch verbindliche und gemeinsame Verhandlungen gelöst werden. „Wir brauchen jetzt keine Landvögte, die Mauern um ihre Kliniken bauen“, sagt der Medizinprofessor Klaus Hierholzer, „sondern ein gemeinsames Lenkungsgremium.“ Christian Füller

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