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Eine Mauer durch Sarajevo?

Nach Ablauf des Nato-Ultimatums blieb die bosnische Hauptstadt ruhig / Russische Soldaten werden in serbischem Stadtteil stationiert  ■ Aus Sarajevo Erich Rathfelder

Es war letztlich eine Nacht wie jede andere. Die meisten Bürger Sarajevos hatten es sich bereits in ihren Betten bequem gemacht, als das Ultimatum der Nato Sonntag um Mitternacht ablief. Niemand war geneigt, dem Aufruf der bosnischen Regierung Folge zu leisten, die Schutzräume wegen einer möglichen Reaktion der serbischen Seite auf die angedrohten Luftangriffe der Nato aufzusuchen. Denn niemand glaubte nach den letzten Entwicklungen vor Mitternacht noch daran, daß es zu derartigen Angriffen kommen würde. So zogen die meisten ihre dicken Bettdecken denen in den Luftschutzräumen vor und konnten sich so wenigstens ein bißchen vor der beißenden Kälte schützen.

Immerhin, der Waffenstillstand hält. Seit nunmehr elf Tagen wird in der Stadt nicht mehr geschossen. Und schon wagen sich die Menschen auf jene Wege, die noch vor kurzem wegen der Gefahr durch Scharfschützen unbegehbar waren. Die kleine Normalisierung hat sogar manches Lächeln auf die Gesichter der Menschen gezaubert. Doch nach wie vor bleibt die bange Frage, wie nun alles weitergehen soll. Denn die Art und Weise, wie der Kompromiß in der Nacht zum Montag erzwungen worden ist, hat nicht nur Freude ausgelöst.

Sehr deutlich wird empfunden, daß allein die Drohung der Nato, die am Wochenende noch einmal vom US-amerikanischen Präsidenten bekräftigt worden war, sowohl die UNO wie die serbische Seite zum Handeln gezwungen hat. Die ständigen Tiefflüge der Bombenflugzeuge mögen nicht ausschlaggebend gewesen sein, doch sie waren ein deutliches Zeichen auch für die UNO-Funktionäre, daß das ewige Nachgeben gegenüber den Serben nicht mehr gestattet werde.

So wurden die UNO-Truppen am Wochenende doch noch aktiv, um tatsächlich an die 41 der UNO bekannten serbischen Stellungen heranzugehen und den Abtransport der Waffen zu überwachen. An acht Sammelstellen sollten zudem die serbischen Waffen konzentriert und unter UNO-Kontrolle gestellt worden sein, doch bis Montag mittag gab es immer noch einige unkontrollierte Stellungen. Sie sollen nach Aussage des Unprofor-Sprechers Bill Aikman jedoch schon von den serbischen Kämpfern verlassen sein. Wie sicher also die UNO-Kontrolle an den Sammelstellen ist, ob tatsächlich alle Waffen dorthin gebracht wurden oder die Vermutung zutrifft, daß deren Gros nur aus der 20-Kilometer-Zone um Sarajevo zurückgezogen wurden, darüber gibt es noch keine gesicherten unabhängigen Erkenntnisse.

Nach den Erfahrungen mit der Informationspolitik der UNO vor Ort sind die offiziellen Erklärungen nach wie vor mit Skepsis zu betrachten. Denn am Montagmittag tauchte die Information aus unautorisierten UNO-Kreisen auf, daß über die 41 bekannten Stellungen noch weitere sechs ausgemacht worden seien. Doch immerhin scheint ein Schritt dazu getan, die Region Sarajevo von schweren Waffen frei zu machen. Und die nachdrückliche Drohung der Nato, bei nur einer abgefeuerten Granate würde der Luftangriff doch noch geflogen werden, hat nicht nur auf serbischer, sondern auch auf UNO-Seite Eindruck gemacht.

Selbst der hochgelobte britische General Michael Rose war auf der letzten Pressekonferenz am Abend vor Ablauf des Ultimatums sichtlich nervös und widersprach sich ganz unmilitärisch bei der Benennung von Zahlen über die unter Kontrolle gestellten Waffen. Denoch gelang es ihm offensichtlich, mit seiner Erklärung die Nato in letzter Minute davon zu überzeugen, daß die UNO-Truppen vor Ort doch noch den Gang der Dinge kontrollierten. Dem vom bosnischen Mitglied des Staatspräsidiums Ejub Ganić vorgebrachten Argument, man hätte ja zehn Tage Zeit gehabt, dies zu tun, wich er auf der Pressekonferenz aus. Er betonte lediglich, daß auch nach Ablauf des Ultimatums UNO-Truppen im Umkreis der Stadt aktiv seien, um den Abzug der Waffen zu beschleunigen.

Daß er damit auch die Aktivität der russischen UNO-Truppen meinte, ist anzunehmen. Denn entgegen früheren Informationen verbrachten die 400 Russen die Nacht in einer Kaserne in der Nähe des von serbischen Nationalisten gehaltenen Stadtteils Grbavica. Diesen Umstand versuchte der Unprofor-Sprecher Bill Aikman herunterzuspielen, indem er behauptete, die Russen seien lediglich Teil der UNO-Truppen und könnten an jedem Ort eingesetzt werden. Doch blieb die ihm gestellte Frage, ob die Installierung der russischen UNO-Truppen in Grbavica eine Vorbedingung der serbischen Seite für den Abzug der schweren Waffen gewesen sei, unbeantwortet. Angesichts der klaren Aussage des bosnischen Politikers Ejub Ganić vom Sonntag, die am Montag noch einmal von ihm bekräftigt wurde, dies wäre eine Provokation, scheinen sich die UNO-Offiziellen hier auf dünnem Eis zu bewegen. Denn nach den Erfahrungen mit den russischen UNO- Truppen in den besetzten kroatischen Gebieten, wo sie deutlich mit der serbischen Seite sympathisieren, ist dies auch im Falle Sarajevos anzunehmen. Die serbische Seite, so die ersten Stellungnahmen aus Pale, ist mit der Stationierung der Russen in diesem Stadtteil jedenfalls hochzufrieden.

Schon tauchen die ersten Plakate in Sarajevo auf, die eine neue Mauer in der Stadt entstehen sehen. Die Mauer in Berlin sei gefallen, in Sarajevo werde eine neue errichtet, meinten schon die Künstler und Filmer von „Saga“, einer Künstlergruppe, schon zu Beginn dieses Jahres: Ein Kalenderblatt für 1994 ziert ein Bild, auf dem Berlin ausgestrichen und Sarajevo aufgezeichnet ist. Den Hintergrund bildet eine Mauer. Mit der Stationierung der Russen in Grbavica ist die UNO in Gefahr geraten, die Teilung der Stadt Sarajevo einzuleiten.

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