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Sprachlos und zivilisiert

■ "Regel ohne Ausnahme" nennt der amerikanische Fotograf Lewis Baltz seine Bestandsaufnahme normierte Häßlichkeit, die das Amerika-Haus in Berlin zeigt

Manchmal ist die westliche Welt auf den Fotos von Lewis Baltz schon fast verschwunden: Gewerbesiedlungen am Stadtrand, Baustellen von verstreuten Einfamilienhäusern und Müllkippen addieren sich in den fotografischen Folgen des amerikanischen Dokumentaristen zum gesichtslosen Überall und Nirgendwo. Zwischen Aufbau und Verfall nimmt die Zivilisation nur einen schmalen Streifen ein. Die an den Rändern von Stadt und Land gesammelten Szenerien lassen sich kaum der Kultur, und der Natur schon gar nicht zuordnen. Als wären den gestaltenden Kräften Ideen und Material knapp geworden, prägt diese Zonen ein Verstummen der Landschaft und eine Sprachlosigkeit der Architektur.

Nur die Konturen einer Coca- Cola-Flasche heben sich noch von einer Plakatwand ab, die grau und leer die Landschaft versperrt. Mit solch lapidaren Aufnahmen verabschiedet Lewis Baltz den amerikanischen Traum von der Weite zu erobernder Landschaften, der sich in der Eroberung der Weltmärkte fortsetzte. Jetzt ist selbst die Werbetafel zu Müll geworden, die nur die Landschaft verstellt. In den schwarzweißen Bildsequenzen von Baltz endet die Identifikation des Subjekts mit der Landschaft. Eine Aneignung der Natur als Mittel der Individuation kann nicht mehr stattfinden. Es ist die Wirklichkeit des Grundeigentums, die allen Vorstellungen von den unendlichen Möglichkeiten der Entwicklung ein Ende setzt.

In den „Industrial Parks“, die Baltz Anfang der siebziger Jahre in Kalifornien aufgenommen hat, schieben sich Wellblechwände und Betonmauern vor den Horizont. Im diffusen Nirgendwo abgestellt, scheint sich in den einfallslosen Industriebauten zunächst Gleichgültigkeit gegen die Umwelt, dann Angst vor der sie umgebenden Leere zu manifestieren. Die fensterlosen monotonen Fassaden lassen keine Spekulationen über die innere Aufteilung, nicht einmal über die Zahl der Geschosse zu. Einzige Spuren der Nutzung sind einige Leitern, die aufs Dach führen und trotzdem den Eindruck der Unzugänglichkeit steigern. Nichts verrät, was darüber hinaus in den Containern geschieht, Ausdruckslosigkeit bleibt ihr alleiniges Merkmal: Im Land der permanenten Selbstdarstellung wirkt diese Verweigerung der Kommunikation verdächtig. Eine nicht ins Sichtbare tretende Macht hat hier den Befehl zum Ende der Durchsage erteilt.

1978 bis 1980 beobachtete Baltz die Entstehung der Siedlung „Park City“. Berge von Schutt wachsen zwischen den Baustellen der Einfamilienhäuser. Nahe ans Objektiv gerückt, verleihen sie den Häusern im Hintergrund die unverhältnismäßige Kleinheit einer Spielzeug- Kulisse hinter Abraumhalden. Nie verdichtet sich die Raumordnung zu einem Beziehungsgefüge. Auch im Innern verharrt die Welt der Dinge in Feindlichkeit. Offene Anschlüsse, verbogene Leitungen, Gerüste und unverputzte Wände mögen zwar der Faktizität des Aufbaus entstammen; sie wirken dennoch wie Spuren eines vergeblichen Kampfes gegen den Eigensinn der Objekte. Der Eindruck der Erstarrung zwischen Noch- Nicht und Nicht-Mehr verfestigt sich durch die Abwesenheit des Menschen in den gesamten Bildern.

Als könnten die Häuser mit einem Lastwagen wieder abtransportiert werden, fehlt der Siedlung jede Vermittlung zu ihrer Umwelt. In dieser Beziehungslosigkeit verdichtet sich eine Nachtseite des amerikanischen Traums vom Siedeln im unberührten Land. In einem seiner Filmmärchen erzählte der Regisseur Steven Spielberg von einer Familie, die in einer Neubausiedlung wohnt, die auf einem alten Friedhof errichtet wurde. Geister lassen ihnen keine Ruhe. Sie verkörpern das schlechte Gewissen einer Kultur, deren territoriale Expansion auf der Verdrängung anderer Völker beruhte. In den Gespenstern, die Spielbergs Familie fast aus dem Hause treiben, kehren die aus dem Land, der Geschichte und dem Bewußtsein Verdrängten als namenloser Schrecken zurück. Im Amerika, das Baltz vorstellt, ist dieser Spuk überflüssig und die Dramatik einer kalten Gleichgültigkeit gewichen: Dort scheinen die Bauherren selbst jeden Anspruch aufgegeben zu haben, eine Identität zwischen dem Land und seinen Bewohnern stiften zu wollen.

Baltz' Protokoll der Verwandlung der „Landschaft in Immobilien“, das er Ende der sechziger Jahre begann, wurde in Los Angeles, New York, Paris und zuletzt im Fotomuseum Winterthur gezeigt. Gemeinsam mit dem Scalo Verlag gibt das Fotomuseum Winterthur das Buch „Regel ohne Ausnahme“ heraus, ein Querschnitt durch die Serien und früheren Bücher von Baltz. Befreundete Autoren, Kunsthistoriker und Architekturkritiker erweisen sich in den Texten als geübte Spurensucher auf dem Weg in die Entropie, die im Abfall der Kultur deren Geschichte lesen.

Doch schon in der Ausstellung im Amerika-Haus lehrt Baltz den Betrachter, aus dem Rauschen des nichtssagenden Raums Informationen zu filtern. Er etabliert im Diffusen Unterschiede zwischen Dreck und Dreck. Auf den Müllkippen der Serie „Near Reno“ (1986) quillt Schlamm aus geplatzten Säcken, Plastikfetzen, Drahtbündel und Holz klumpen zusammen in einer beinahe organisch anmutenden Wucherung, Autoreifen stapeln sich zu Hügeln. Die Metamorphose des Materials überzieht den Kontinent mit einem zweiten Urschlamm. Und die Aasfliegen, die ein verendetes Schaf besetzen, sind die einzigen sichtbaren Lebewesen. Katrin Bettina Müller

Lewis Baltz: „Regel ohne Ausnahme“ im Amerika-Haus, Berlin. Bis 18. März, Mo., Mi., Fr. 11-17.30 Uhr, Di., Do. 11-20 Uhr, Sa. 11-16 Uhr. Das Buch „Regel ohne Ausnahme“, erschienen im Scalo Verlag, kostet 68 DM.

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