: Universelle Gleichgültigkeit
■ „Metropolitane Kultur“: Bernd Guggenberger im Literaturhaus
Das „Nirgendwo“ ist in unser aller Mitte. Rastlos unterwegs und trotzdem nie Dasein, darin sieht Bernd Guggenberger eines der widersprüchlichsten Phänomene westlicher Moderne. In der Veranstaltungsreihe „Perspektiven metropolitaner Kultur“ entwarf der Sozialwissenschaftler am Dienstag im Literaturhaus ein total düsteres Zukunftsbild: „Ein aus der Raumdimension herausgefallenes Wesen Mensch verfällt einer universellen Gleichgültigkeit, die in eine gigantische Dekonzentration mündet.“
Für den in Bielefeld wohnenden und in Berlin Politologie dozierenden Guggenberger verschwindet in einer medial vollkommen vernetzten Wirklichkeit die bisher bekannte Form von Stadt. Die elektronischen Medien kreieren stattdessen ein eigenes, letztlich virtuelles „Sozialuniversum“. Dadurch brechen alte „Kraftfelder“ wie Straße, Kneipe und andere soziale, „distinkte“ Räume völlig zusammen und werden durch künstliche Bilder – schönere als die Wirklichkeit je zu bieten hatte – ersetzt. Die „synthetisierte Familie“ rückt für Guggenberger bedrohlich näher. „Dabei wird“, so der just von einem längeren USA-Aufenthalt Heimgekehrte, „der Atem der Geschichte zum faden Konsens des Jetzt.“
Bei soviel Trübsal hielt es die Chefin des Literaturhauses, Ursula Keller, nicht mehr länger zurück: „Meinen Sie denn wirklich, daß sich der Mensch gnadenlos medial verformen läßt? Gibt es nicht so etwas wie einen anthropologischen Rest, der sich der sinnlichen Verarmung einfach widersetzt?“ „Vielleicht entsteht ja tatsächlich existentieller Ekel gegen Television, doch glaube ich es nicht. Der Mensch ist formbar wie eine Stubenfliege“, scheute ein desillusionierter Guggenberger nicht den Vergleich mit dem Tierreich. Er setzt sich deshalb seit Jahren für eine „Pädagogisierung der Freizeit“ ein: Der Mensch müsse auf die Freizeitgesellschaft vorbereitet werden. Das Fernsehen selbst solle Schulfach werden, damit verlorengegangene Urteilsfähigkeit wiedergewonnen werde. Dierk Jensen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen