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Putsch im Pay-TV

■ Führungswechsel beim französischen "Canal plus"

„Edouard war's“ – Die Anklage wegen beruflichen und politischen Mordes stand auf Seite 1 der angesehenen Tageszeitung Le Monde. Sie galt Premierminister Balladur. Ausgesprochen hat sie der Papst der elektronischen Medien Frankreichs, der 71jährige André Rousselet. Vernommen hat sie ganz Frankreich.

Seit zehn Jahren leitete Rousselet Europas größtes Pay-TV. Entgegen allen Unkenrufen machte er „Canal plus“ zu einem politisch scharfzüngigen und wirtschaftlich höchst profitablen Unternehmen. Jetzt wurde er selbst Opfer seines Erfolges: Mehrere große Unternehmen – darunter die Riesen der französischen Medien, aber auch einflußreiche branchenfremde Interessenten – wollen nun, wo die amerikanische Konkurrenz in Frankreich immer drängender wird, auch in die Schlacht um den internationalen Elektronik-Medienmarkt einsteigen. Als Vehikel für ihre Pläne soll ihnen nun Canal plus dienen.

In einer Ad-hoc-Aktion bildeten die Mehrheitsaktionäre von Canal plus Mitte Februar einen Block, der 48,7 Prozent des Kapitals des Senders kontrolliert, und öffneten das Unternehmen zudem für weitere Großanleger. Canal- plus-Gründer Rousselet reagierte auf den „Putsch“ mit seinem Ausstieg aus dem Sender. Unabhängiger Journalismus sei angesichts eines derartigen Kapitalblocks, der zudem politisch geschlossen in das Lager des konservativen Premierministers gehört, unmöglich.

Der Decoder für den in den Aufbruchzeiten sozialistischer Medienpolitik 1984 gegründeten Pay-Kanal kostet immerhin 150 Francs (ca. 45 DM) pro Monat. Aber während den anderen Kanälen die ZuschauerInnen wegliefen, machte Canal plus mit seinem Programmangebot von Soft-Porno bis zu Politmagazinen Furore. Heute hat der Sender 3,7 Millionen AbonnentInnen in Frankreich und zwei weitere Millionen im Rest Europas, wo er an dem deutschen „Premiere“-Fernsehen sowie an Pay-TVs in Spanien und Belgien beteiligt ist. Canal plus mit 900 Beschäftigten macht einen Jahresumsatz von 8,7 Milliarden Francs (2,6 Milliarden DM) und einen Gewinn von zuletzt 1,2 Milliarden Francs (ca. 0,4 Millionen DM) – Ergebnisse, um die er in Frankreich allseits beneidet wird.

Canal-plus-Gründer André Rousselet, enger Vertrauter und früherer Kabinettschef des sozialistischen Staatspräsidenten Mitterrand, gelang es, die gefährliche Konkurrenz des Kabelfernsehens klein zu halten. Bis heute hat Frankreich nur ein rudimentäres Kabelnetz (7 Prozent Reichweite im Vergleich zu 70 Prozent in der BRD und 90 Prozent in den Beneluxländern).

Das Idyll zwischen dem Pay-TV und Frankreichs Regierung war ungestört – bis im März vergangenen Jahres eine stabile konservative Mehrheit an die Macht kam. Die neue Regierung will das Kabelnetz nun ausbauen, und sie läßt Kapitalbeteiligungen an Privatsendern von bis zu 49 Prozent zu (vorher max. 25 Prozent). Das Gesetz über die 49-Prozent-Beteiligungen trat im Februar in Kraft – gerade rechtzeitig für die Umstrukturierung bei Canal plus.

Premierminister Edouard Balladur hat aber auch andere personelle Vorstellungen für die Spitzen der Verwaltung und staatlichen Industrie. In nur zehn Monaten Amtszeit schaffte er es, über 150 Schlüsselstellen neu zu besetzen. Sein Netz spinnt er auch in die staatlichen elektronischen Medien hinein, wo von Paris über die Provinz bis in die überseeischen Départements bereits neue Leute angetreten sind.

Der Machtkampf im Vorfeld der Präsidentenwahlen im kommenden Jahr treibt Balladur an. Der Premierminister gilt selbst als einer der aussichtsreichsten Kandidaten für die Nachfolge von Staatspräsident François Mitterrand. Doch wenn er das Rennen schaffen will, muß er nicht nur seine sozialistischen Gegner übertrumpfen, sondern vor allem die Mitbewerber bei den konservativen Parteien ausschalten – allen voran den Pariser Bürgermeister Jacques Chirac.

Die Mehrheitsaktionäre, die die Kapitalstruktur von Canal plus änderten, sind ausnahmslos langjährige politische Freunde von Balladur. Die Chirac-Anhänger im Verwaltungsrat wurden von der Entscheidung genauso überrumpelt wie der vergangene Woche zurückgetretene Chef des Senders. Sein Nachfolger Pierre Lescure gilt zwar als Vertreter der bisherigen Politik von Canal plus, doch in Paris glaubt niemand daran, daß er sich lange auf dem Posten halten wird. Ein langjähriger Mitarbeiter von Balladur ist bereits im Gespräch für den Posten.

Der Premierminister selbst, dessen Medienexperten seit Monaten mit den Aktionären von Canal plus über eine Umstrukturierung und über den Einstieg in die massive Verkabelung Frankreichs verhandeln, will von all dem nichts gewußt haben. Was die private Wirtschaft täte, ginge ihn nichts an, erklärte er im Fernsehen. Frankreich, das die Politik mit den Posten kennt, vernahm diese Behauptung mit ungläubigem Staunen. Dorothea Hahn, Paris

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