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■ Bündnisgrüne Wahldebatte: Vorstandssprecher Ludger Volmer – Die Grünen und ihr MehrheitswilleNicht unterkriechen lassen!

Die Landeslistenaufstellung in Nordrhein-Westfalen zeigt, wohin der Mehrheitswille von Bündnis 90/Grüne geht. Die NRW-Liste ist ausgewogen und kompetent besetzt, allerdings mit deutlichem Linkstouch. Das ist kein Widerspruch. Denn im Gegensatz zu den Räuberpistolen, die mancher über den stärksten grünen Landesverband verbreitet, hat sich dort seit Jahren ein gleichermaßen kompetenter wie pragmatisch linker Mainstream gebildet, der sich in den alten Strömungskategorien nicht abbilden läßt. Verbalradikalismus hat sich dort als ebensowenig mehrheitsfähig erwiesen wie Anpaßlerei.

Der NRW-Mainstream und die entsprechenden politischen Haltungen in der Bundespartei werden gerade deshalb die entscheidende Größe bei Koalitionsverhandlungen mit der SPD werden. Aber nicht, weil sie aus Sektiererei die notwendige Kompromißbildung scheitern lassen würden. So verrückt ist niemand mehr. Sondern weil sie nicht schon zu Beginn des Wahlkampfes auf die Formulierung eigener Ziele verzichten und damit die Verhandlungsposition gegenüber der SPD schwächen wollen.

Die radikaleren Kräfte unserer Partei sind in der strategisch günstigeren Position. Es wird ihr Ja sein, das die Koalition möglich macht. Wenn aber ihre Reformhoffnungen bei aller Bereitschaft zu Pragmatismus und Kompromiß nicht wenigstens ansatzweise berücksichtigt werden, dann kann eine Verhandlung auch scheitern.

Auch der einseitig besetzte Berliner Kongreß „Kohl ablösen“ kann daran nichts ändern. Stimmung in eine Richtung zu machen, die nicht vom überwiegenden Teil der Partei getragen wird, vermindert unsere Stoßkraft, statt sie zu erhöhen. Josef Fischer kann staatsmännische Essays über unsere Verantwortung verfassen (vgl. taz??) – jede Perspektive, die nicht die Partei, so wie sie ist, berücksichtigt, geht in die Irre. Völlig irreal wäre es zu glauben, wenn denn Rot-Grün eine Mehrheit von 45 Stimmen hätte, damit nicht nur einzelne SPD-Abweichler aussitzen, sondern die Koalition auch gegen die Hälfte der Grünen durchsetzen zu können.

Die früheren Medienoffensiven von Realos konnten nur deshalb Erfolg haben, weil die Mehrheit der Linken eine unhaltbare Position bezogen hatte, die der Verweigerung. Heute aber ist die Bereitschaft, Koalitionen einzugehen, Konsens. Der Konsens von Neumünster umfaßte aber auch den Willen, das eigene inhaltliche Profil zu schärfen. Die neue Geschlossenheit der Partei, unser größtes politisches Kapital, fußt auf beiden Pfeilern. Den inhaltlichen wegholzen zu wollen wird nicht ein Mehr an Koalitionsdisziplin bringen, sondern den Verlust innerparteilicher Verständigung über nötige Kompromißbildungen. Eine Bundespartei läßt sich nicht auf Stromlinienform trimmen wie ein mittlerer Landesverband.

Daß unsere politischen Ziele nicht in einem Zuge über Regierungsbeteiligungen zu verwirklichen sind, weiß doch jeder, auch unsere WählerInnen, die ja nicht die dümmsten sind. Die schwierigen ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Reformpolitik sind doch gerade den Linken klar. Die alte Fundi-Weisheit, daß man über Regierungspolitik weniger durchsetzen kann, als nötig wäre, wird ja nicht dadurch falsch, daß wir uns dennoch darauf einlassen. Es waren doch gerade die Linken, die realistisch auf die Grenzen von Regierungshandeln hinweisen, als Realos noch Blütenträume von der Macht der Macher hegten.

Deshalb muß man aber doch nicht alle Konturen zur SPD verwischen. Wer als wichtigstes Wahlziel die Ablösung von Kohl formuliert, müßte eigentlich sofort zur Wahl von Scharping aufrufen. Das wäre die beste Garantie für den Kanzlerwechsel. Diese Karte wird Scharping auch spielen. Wenn er in der Schlußphase des Wahlkampfes mahnt, er brauche noch zwei Prozent, um Kohl zu überflügeln, mit welchem Argument halten wir die rot-grünen WechselwählerInnen, unsere wichtige Klientel, dann bei uns?

Es kann dann doch nur eine einzige Antwort geben: Ein Personalwechsel in Bonn nutzt nichts ohne Politikwechsel! Für Scharping mag es aussichtsreich sein, Little Kohl zu spielen, um die rechte Mitte zu besetzen. Für uns ist es aber völlig verfehlt, wenn sogenannte heimliche Parteivorsitzende einen auf Little Scharping machen. Wir werden uns nur behaupten, wenn wir deutlich machen können, warum und wofür ausgerechnet wir gebraucht werden.

Wir müssen dokumentieren, daß wir für einen grundsätzlichen Richtungswechsel, für eine grundlegende Reformpolitik eintreten. Wir müssen dafür sorgen, daß die SPD einen hohen politischen Preis zahlen müßte, wenn sie den Weg der Reformen verweigert und mit der abgewirtschafteten Union die Große Koalition des „weiter so“ eingeht. Unsere Programmaussagen müssen deshalb zweierlei leisten: In ihnen muß sich der politische Wille spiegeln, für weitreichende Reformen Unterstützung mobilisieren zu wollen. Gleichzeitig muß es möglich sein, daraus eine Verhandlungsstrategie abzuleiten, die die konkreten Reformerwartungen unserer WählerInnen in ein für vier Jahre tragfähiges Mitregierungsprogramm übersetzt. Nur noch wir sind die Garanten einer Reformperspektive, die SPD ist zwiespältig. Wenn wir eine Regierungsbeteiligung aber prinzipiell verweigern, ist für die SPD der Weg in eine Große Koalition ohne Legitimationsverlust frei. Unser unschlagbares strategisches Argument lautet deshalb: Wer überhaupt Reformpolitik will, „wer Rot-Grün will, muß Grün wählen“.

Dieses Argument ist auch für die SympathisantInnen der PDS triftig, die über ostdeutsche Heimatpflege hinaus tatsächlich Reformen wollen. Jede Stimme für die PDS ist eine Stimme gegen Rot-Grün und damit gegen die einzige reelle Reformregierung.

Wir brauchen einen Maßstab für die Realisierbarkeit unserer Programmforderungen. Mein Vorschlag: Unsere Konzepte müßten technisch machbar sein, wenn der politische Wille dahinterstünde. Vom heute existenten Mehrheitswillen, theoretischen 51 Prozent, dürfen wir sie nicht abhängig machen. Denn den wollen wir ja verändern. Dafür heißt es zu kämpfen. Wer sich zu billig anbietet, läuft Gefahr, als wertlos zu gelten.

Fatal ist die Neigung einiger führender Parteifreunde, um den Abstand zur SPD zu verkleinern, bestehende Beschlußlagen zu verballhornen, karikieren und sinnentstellend hinauszuposaunen. Daß sie so Meinungsführerschaft bei der Strategiebildung erringen könnten, ist höchstens ein Selbstmißverständnis. Denn nur schwer kann jemand die eigene Seite vertreten, der Gefahr läuft, sich in der Öffentlichkeit als Kronzeuge für die Gegenseite zu profilieren.

Es gibt keine aktuelle grüne Forderung nach „Austritt aus der Nato“ oder „sofortiger Abschaffung der Bundeswehr“. Dies sind bösartige Falschzitierungen mit dem Zweck, dagegen eine angeblich realistischere Position einzubringen. Verhandlungspsychologisch ist es die Verbündung mit der SPD gegen die grüne Mehrheit, die als gemeinsamer Gegner definiert wird. Was erhofft man sich von den Sozis, mit denen man derart Kumpanei betreibt?

Warum macht man es nicht umgekehrt? Warum wird die Beschlußlage nicht reell dargestellt mit dem klaren Signal der Verhandelbarkeit? Niemand wird die Abschaffung der Bundeswehr als Eingangsforderung formulieren wollen. Aber es muß doch über einen Prozeß geredet werden können, der mittelfristig die Ablösung nationalen Militärs durch zivile Strukturen kollektiver Sicherheit und friedenserhaltende Maßnahmen der UNO anstrebt. So lautet nämlich die sicherheitspolitische Strategie im Bundestagsprogrammentwurf. Wer diese falsch darstellt, muß sich die Absicht nachsagen lassen, selber etwas ganz anderes zu wollen.

In einer Globalalternative zum Entwurf des Bundesvorstandes jedenfalls setzen einige Antragsteller unkommentiert und damit affirmativ den Wunsch der Visegrad- Staaten nach atomarem Schutz durch die Nato gegen Rußland. Nach viel verschleiernder Prosa erklärt sich der Antrag dann auch zur Ostausdehnung der Nato, einer Nato, die die Eskalationsstrategie der flexible response einschließlich atomarer Erstschlagfähigkeit vertritt. Das gegen einen potentiellen Gegner gerichtete atomare Militärbündnis wird verbal flugs zu einem System kollektiver Sicherheit umgedichtet. Wer einseitige Abrüstung fordert, wird subtil als Nationalist denunziert.

Fazit: Es ist richtig, daß eine rot- grüne Koalition nicht an überzogenen grünen Vorstellungen scheitern darf. Scheitern tut sie aber auch dann, wenn sie ihre aktive Basis dadurch enttäuscht, daß sie zuwenig ambitioniert ist. Wenn Grüne die Rolle des Hoffnungsträgers der Gesellschaft verspielen, weil sie ihre Visionen opfern, dann ist mehr verloren, als wenn eine Koalition nicht zustande kommt. Ludger Volmer

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