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Unterm Strich

Oh ja, die Zeiten ändern sich. Steter Tropfen höhlt den Stein, und selbst die Unerschütterlichen werden wankend. Ein' feste Burg ist auch unser guter alter Bob Dylan nicht mehr. Zum ersten Mal in seiner ja nicht gerade kurzen Laufbahn hat er der Verwendung eines seiner Lied-Epen in der Fernsehwerbung zugestimmt. Richie Havens singt den Song, bei dem es sich – ausgerechnet! – um „The Times They Are A-Changing“ handelt, in einem 60-Sekunden-Spot für die Firma Coopers & Lybrand. (Keine Ahnung, was die herstellen. Softdrinks? Jeans? Whiskey? Erdnußbutter?) Nicht enthalten sind allerdings die Zeilen „Come senators, congressmen, please heed the call / Don't stand in the doorway, don't block up the hall...“ Für wieviel er das Bürgerrechtsbewegungsstück vertickt hat, wollte Dylan nicht verraten.

Gestorben sind: die Kabarett-Grande-Dame Lore Lorentz (siehe Portrait Seite 11), der Schriftsteller Hans-Joachim Haecker (vermelden wir hiermit) sowie der Berliner Regisseur und Bühnenbildner Willi Schmidt (Nachruf folgt). Bester Gesundheit und nach wie vor erheblicher Vitalität dagegen erfreut sich der Entertainer, Showhase und Volksschauspieler Harald Juhnke, dessen Rolle in „Des Kaisers neue Kleider“ nach Andersen (hatten wir gestern verrissen) sich ca. 70 Prozent des heutigen Ticker-Aufkommens widmen, Überschrift: „Harald Juhnke in langen Unterhosen“ (wat ham wa...), Lead-Satz: „Harald Juhnke ist für vieles zu haben.“ Apropos: Haben Sie, auf Berlin- Besuchen oder so, schon mal bemerkt, daß Juhnke ausgesprochen gern Werbung für den Gaststätten- Mittelstand macht? Sowohl in Neukölln als auch in Charlottenburg ward er schon als Werbeträger gesichtet, jeweils appetitlich posierend vor nicht unbeträchtlichen Tellergerichten. Das schönste Juhnke- Foto findet sich allerdings in unmittelbarer Nähe des Zoopalasts, direkt am Anfang der Budapester Straße, in so einer Art Altberliner Schmuddelschaukasten, vom Licht einer Neonfunzel angestrahlt: Juhnke vor Peking-Ente – man weiß nicht, wer von beiden knuspriger wirkt. Achten Sie mal drauf, bei der nächsten Berlinale oder so. Es lohnt sich!

Wo wir schon wieder in den Untiefen von Pop und Trash gelandet sind, deren dialektischer Gegensatz zur Seriosität von der Wirklichkeit selbst immer unerbittlicher aufgesogen wird, soll nicht unerwähnt bleiben, daß eine Band namens Green Wave, die sich kokett „die letzte Rockband vor der Grenze“ nennt (nach Westen; ist in dem strukturschwachen Saarbrücken beheimatet), eine Rockoper namens „...We Used To Cut The Green Grass...“ ganz allein von selber und ohne irgendjemanden um Erlaubnis zu fragen verfaßt hat. Nach eigenen Angaben spiegelt dieses Werk, das die Themen künstliche Intelligenz, virtuelle Realität, Gentechnik, „Atom“, „Chemie“ und diverse daraus resultierende Menschheitskatastrophen alle auf ein

mal verarbeitet, eine „kritische Distanz zu blinder Fortschrittsgläubigkeit und zu linear materialistischem Denken in der modernen Industriegesellschaft“ wider. Die Combo, die sich schon für wie gegen alles mögliche engagiert hat, schreibt sehr zierlich: „Vielleicht könnten Sie mit einem Artikel in ihrer Zeitschrift die tageszeitung uns bei unserer Sponsorensuche unterstützen.“ Sei's drum. Die Kontaktadresse für all das lautet: Green Wave, Rainer Wahlmann, Lessingstraße 24, 66121 Saarbrücken, Tel 0681/66182.

Das Letzte: Angesichts der Tatsache, daß die Arbeitsgemeinschaft deutscher Kunstvereine hinsichtlich der heutigen Parlamentsabstimmung über die Frage „Bundestagsverhüllung durch Christo – ja oder nein“ das Projekt als „wichtigsten ideellen Beitrag zur Förderung der nationalen Identität“ bezeichnet hat, freut uns heute bloß, daß Helge Schneider mit „Katzenklo“ auf Platz eins der deutschen Charts steht.

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