: Das Ende des ewigen Kreislaufs
■ Alle HamburgerInnen sollten 1994 nochmal Paternoster fahren: Ab 1995 werden die meisten von ihnen stillgelegt Von Kaija Kutter
Sparvorschlag der Woche, wie wär's damit: Die 15 Paternoster, die derzeit noch in öffentlichen Gebäuden ihre Runden drehen, werden nicht stillgelegt. Der Hamburger Senat erteilt eine großzügige Ausnahmeregelung für die netten Gefährte, dafür spart er 20 oder vielleicht sogar 30 Millionen Mark für Ersatz-Aufzüge ein.
Almut Blume-Gleim lacht über die Idee. Ja, das müßte man mal durchrechnen. Aber bislang sei es ihr nicht einmal gelungen zu erfahren, wieviel Geld der Ausbau und Ersatz des Paternosters in der Wirtschaftsbehörde gekostet hat, jenen „Personenumlaufzug“, für den sie 600 Unterschriften gesammelt hat und für den sich sogar ihre ehemalige Chefin, Stadtentwicklungsenatorin Traute Müller, persönlich engagierte.
Vergebens. Das Amt für Arbeitsschutz blieb eisern. Die MitarbeiterInnen von Stadtentwicklungs- und Wirtschaftsbehörde, die gemeinsam das Bürohaus am Alten Steinweg 4 benutzen, wurden im vergangenen Sommer durch Staub und Lärm der Bauarbeiten wehmuterzeugend daran erinnert, daß ihr kleiner Aufstand für den Paternoster erfolglos war.
Dabei hat das im 19. Jahrhundert in England zunächst für Postpakete entwickelte Transportmittel ganz viele Vorteile. Weil die Fahrkorb-Kette immer in Bewegung bleibt, wird Energie gespart - manche Paternoster haben lediglich 10-Kilowatt-Motoren. Auch ist die Transportkapazität viel größer als bei einem Fahrstuhl und die Störanfälligkeit sehr gering. Und man muß nicht warten, und man kann nicht steckenbleiben, und und und. Almut Blume-Gleim, von Beruf Architektin, ist inzwischen Paternoster-Spezialistin.
Letztlich ist der Paternoster sogar ein Kommunikationsmittel. Gespräche, die auf gleicher Ebene beginnen, werden oft noch über mehrere Stockwerke Distanz weitergerufen. Ein schnelles Fortbewegungsmittel, das in den 20er, 30er Jahren, als noch Büroboten kleine Päckchen von Stockwerk zu Stockwerk trugen, konkurrenzlos effektiv war. 600 Stück gab es in Hamburg, der einstigen „Hochburg der Paternoster“. Im Zeitalter des Faxgeräts sind es noch 59.
Sind Sie schon mal Paternoster gefahren? Im Springer-Hochhaus an der Kaiser-Wilhelm-Straße zum Beispiel. Die Fahrt bietet einen ungewohnten Einblick ins Verlags-Imperium. Jedes Stockwerk ziert eine goldene Nummer. Junge aufstrebende Volontäre, mit Anzug und Pferdeschwanz, im dritten. Ein Schreiberling, das Diktiergerät lässig in der Hand, der die Treppe nicht findet, im vierten. Sekretärinnen, die über die Dimension der neuen Cafeteria lästern, im sechsten Stock. Darüber wird es heller, direkt aus dem Paternoster ein Blick auf die verschneite Millionenstadt. Ein Ober im weißen Jacket balanciert ein Mineralwasser auf einem Tablett ins Zimmer eines Chefs. Die goldenen Beschläge an den Klotüren sind nur billiges Messing-Imitat. Schade, das denkmalgeschützte 50er-Jahre-Gebäude hätte sonst den Charme, aus dem Sekretärinnenromane sind.
Aufschlußreich ist auch die Paternosterfahrt durchs rustikale Finanzamt am Gänsemarkt. Der Senator im ersten, die Haushaltsabteilung für Kultur und Soziales im zweiten, darüber diverse Staatsräte und ganz oben der Rechnungshof. Der Blick in die Tiefe des Treppenhauses läßt erschaudern. Das Leben ist gefährlich, auch ohne Paternoster. 11.000 Tote im Straßenverkehr. Blume-Gleim läßt gar demonstrativ ihr Auto stehen. Dennoch, sagt der Verband der TÜVs in Deutschland, darf es Paternoster ab 1995 nicht mehr geben, weil sie zu gefährlich seien. Drei bis zehn Unfälle im Jahr, rechnet der Vize-Vorsitzende Klaus Gareis vor, kämen auf die rund 400 deutschen Paternoster. Dagegen seien die 30 bis 40 Unfälle in 400.000 „normalen“ Fahrstühlen statistisch gesehen wenig. Allerdings wurden die Zahlen ab 87 noch nicht ausgewertet.
Zu Unfällen kommt es dann, wenn Menschen trotz Verbot sperrige Gegenstände mitnehmen: Leitern, Aktenwagen, Fensterrahmen. Und es passiert, daß Menschen in Panik geraten und auf den Notknopf drücken, weil ihnen das Mobile nicht geheuer ist. Vor allem ausländische Mitbürger seien mit Paternostern nicht vertraut, sagt Klaus Gareis.
Aufklärung statt Verbot, von Star-Designern entworfene Piktogramme, die auf den ersten Blick verstanden werden, fordert Paternoster-Kämpferin Blume-Gleim. Schilder, die deutlich machen, daß nichts passiert, wenn ein Passagier versäumt, im obersten Stock auszusteigen. Oder, daß es gar nicht möglich ist, den Fuß einzuklemmen. Die Aufzugkante hat ein Scharnier und gibt im Notall nach.
Blume-Gleim hält die angebliche Gefährdung für nicht belegt und irrational. So habe die Forschung über Spielplatzgefahren ergeben, daß an Geräten, die sich kontinuierlich bewegen - Drehscheiben zum Beispiel - weniger passiert, weil die Menschen sich intuitiv in acht nehmen. Die vertikale Bewegung des Paternosters sei vergleichbar mit der horizontalen Bewegung einer noch fahrenden S-Bahn, deren Türen sich schon öffnen. Eine alltägliche Situation, die 100.000 Fahrgästen zugetraut wird.
Steckt hinter der Paternosterfeindlichkeit letzten Endes die Aufzugsindustrie, die ja immerhin an dem massenhaften Austausch verdient? Dem deutschen Aufzugsausschuß, der 1980 das Aus der Personenumlaufzüge beschied, gehören immerhin auch Vertreter der Herstellerfirmen an.
Oder werden hier Beamte, die nur ihre Pflicht tun, von Nostalgievernarrten öffentlich drangsaliert? Der zuständige Herr vom Amt für Arbeitsschutz mag überhaupt nicht mehr mit Journalisten reden (“Wir haben hier besseres zu tun“). „Wenn es um Paternoster geht, sind die Arbeitsschützer immer die Buhmänner“, wirbt Pressesprecher Jochen Breetz um Verständnis für die wirsche Reaktion.
Schade. Verschwindet so doch die Antwort auf die Frage, ob die Auflagen, die beispielsweise dem HWWA-Paternoster gemacht wurden (Monitor-Überwachung, Barriere mit Codekarten-System) nicht leicht übertrieben sind, im Verantwortungsnebel. Immerhin hatte die Bürgerschaft den Senat im Sommer aufgefordert, die Aufzugsverordnung so anzuwenden, daß viele Paternoster erhalten bleiben.
Laut Gesetz kann eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden, wenn die „für den sicheren Betrieb erforderlichen Auflagen“ erfüllt werden. Nur, was ist schon sicher? „Wir raten den Kollegen, grundsätzlich keine Genehmigung mehr zu erteilen“, sagt Klaus Gareis vom TÜV-Verband. Zwar hafte im Prinzip der Staat, aber wenn ein Beamter fahrlässig etwas vergißt, könne er individuell haftbar gemacht werden. Und noch ein Argument: „Ein einzelner Beamter kann doch nicht klüger sein als ein ganzer Aufzugsausschuß.“ Und der hat beschlossen, daß die Zeit der Paternoster vorbei ist. Punkt aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen