: Die großen Schiffe kauft die Welt woanders
■ Die Bremerhavener Schichau Seebeckwerft schaut sich die Augen wund nach dem Silberstreif am Horizont
Ab und zu quietscht ein Kran die Gleise entlang. Sonst ist es still auf dem Gelände der Schichau-Seebeckwerft in Bremerhaven. Ein Viertel der ArbeiterInnen ist auf Kurzarbeit. Eines der beiden Docks liegt leer, das Wasser ist zugefroren. In dem anderen Dock dümpelt ein fast fertiges simples Containerschiff. Ein Container ist besser als nichts, findet der Chef der Werft, Jürgen Gollenbeck. „Gar keine Beschäftigung in einem Unternehmen zu haben, das ist tödlich.“ Doch beim Bau von einfachen Containern haben die spezialisierten Werkstätten wenig zu tun, die Werft arbeitet also nicht kostenoptimal. Mit anderen Worten: Der Container kostet die Werft Geld, anstatt daß er Geld einbringt.
Eigentlich können die 1.600 „Werker“ der Schichau-Seebeckwerft viel mehr: am besten (und profitabelsten) bauen sie ausrüstungsintensive Schiffe, zum Beispiel Kreuzfahrtschiffe. Dann haben die 900 Maschinenbauer und eine Maschinenbauerin, die 400 Schweißer, die 300 Schiffbauer, die Schlosser, Elektriker, Maler, Rohrbauer, die Mechaniker und zwei Mechanikerinnen, die KranführerInnen, TischlerInnen, die Azubis, darunter 23 Frauen, erst so richtig zu tun. Was gibt es nicht alles auf einem Kreuzfahrtschiff zu werkeln: umfangreiche Sicherheitseinrichtungen (nicht bloß Rettungsboote), Bars, luxuriöse Kabinen mit Bädern, riesige Küchen und für die Feriengäste natürlich auch Fahrstühle, Klimaanlagen, eine umfangreiche Frischwasserversorgung, mehrkanalige Telefon-Telefax-Systeme ... Beim Container dagegen haben nur die Metallarbeiter viel zu tun, die die einzelnen Schiffstahlteile zusammenschweißen (von beiden Seiten!), die Bleche bauchig pressen und Rohröffnungen aussägen.
Das Debakel begann mit dem Wunsch der Reeder nach Kreuzfahrtschiffen mit 32 Metern Breite - so breit ist der Panama-Kanal, durch den müssen sie grad noch passen. Auf solchen Schiffen können nicht nur 1.800, sondern bis zu 2.500 Erholungssuchende untergebracht werden. Doch die Docks der Schichau Seebeckwerft sind nur 24 Meter breit. Und auch der altertümliche Helgen, die schiefe Ebene, von der aus das Schiff gleich ins Wasser rutscht, mißt gerademal 29 Meter Breite. Damit bleibt der Werft von vornherein ein ganzes Fünftel des Schiffmarktes verschlossen.
Noch im letzten Frühjahr waren die Schichau-Seebecker gut drauf: Damals versprach die Mutterfirma, der Vulkan-Verbund, in einem „Unternehmenskonzept 2000“, rund 150 Millionen Mark auf der Werft zu investieren. Zum Beispiel in ein größeres Dock, gar ein überdachtes - so eins, wie es die größte inländische Konkurrentin, die Meyer-Werft in Papenburg, hat. Vielleicht wäre bei der Modernisierung auch so ein riesiger Portalkran herausgesprungen, wie ihn sogar schon die AG Weser in Gröpelingen hatte. Doch wenige Monate später tönte der Vulkan-Konzern ganz anders. Die Marktlage habe sich verschlechtert, Investitionen seien nicht sinnvoll. Im Gegenteil: Die Werft möge doch bitte zunächst mal ihre Kosten senken. Zum Beispiel durch Personalabbau.
„Wir wissen wirklich nicht, wohin die Reise gehen soll“, kritisiert Betriebsrat Dietmar Buttler den Konzern. Zur Klärung der Zukunftschancen der Werft gab der Betriebsrat ein Gutachten bei den drei Bremer Wirtschaftswissenschaftlern Heiner Heseler, Rudolf Hickel und Jörg Huffschmid in Auftrag. Die drei Experten kamen zu ganz anderen Ergebnissen als der Vulkan-Konzern: Investieren! Oder die Werft wird irgendwann zum Zulieferer für die anderen Werften des Verbundes. „Wenn man nicht investiert, bedeutet das, daß man die Werft irgendwann ganz schließt“, sagt Heiner Heseler.
Die Konkurrenz schläft nicht, sondern holt mit großen Schritten auf: Die von Vulkan neu dazugekauften Werftentöchter in Wismar und Stralsund bekommen bald große und überdachte Docks. Und HDW in Kiel war gerade eben einkaufen. Was nützt der Schichau Seebeckwerft dann noch ihr neues elektronisch gesteuertes Hochregallager voll Flanschen und Rohren, Matratzen und Klobrillen? Und auch das Konzept der kurzen Wege zwischen Warenlager und Pier verschafft dann keinen Wettbewerbsvorteil mehr.
„Aber auch mit einem größeren Dock fliegen einem ja nicht die gebratenen Tauben in den Mund“, wägt Vorstandsvorsitzender Gollenbeck ab. Außerdem gebe es immer noch den Markt der Fährschiffe - dort gelte man als „anerkannte Werft“. Und dort hat der Trend zu Großbauten offenbar noch nicht so durchgeschlagen. Grad im November habe man von einem griechischen Reeder den Auftrag für zwei schnelle Fähren zwischen Italien und Griechenland bekommen. Ein Erfolg, findet Gollenbeck, denn bislang haben die griechischen Reeder immer nur gebrauchte Fähren gekauft. Noch zwei davon, und man käme gut übers Jahr.
Übersprudelnd zuversichtlich wirkt er nicht gerade, der Werft-Chef. „Aber wir haben immer Projekte“, macht er sich Mut. So hat die Werft jüngst ein superschnelles Fährschiff entwickelt, das 35 Knoten in der Stunde macht (etwa 63 Kilometer in der Stunde). Bislang ist der Markt schneller Schiffe fest in australischer und norwegischer Hand. Angebissen hat allerdings noch kein Reeder. Den Konstruktionszeichnungen mochten sie offenbar nicht einfach so glauben. Nun baut die Werft eben einen „Erprobungsträger“ in kleinerem Maßstab - der kostet allerdings auch schon 20 Millionen Mark.
„Ha“, kann da Betriebsrat Dietmar Buttler nur sagen, „20 Millionen“. Wo sollen die herkommen? Schließlich beträgt das gesamte Eigenkapital nur 24 Millionen Mark. 70 Millionen sollten es nach Ansicht der drei Gutachter wenigstens sein. „Eine einzige Fehlkalkulation, dann wird's unheimlich eng“, sagt Buttler. Die Betriebsräte sehen die Lage der Werft um einiges düsterer als die Geschäftsführung. Ach, seufzt etwa Dietmar Buttler, dauernd müsse man für die Unternehmensleitung Geschäftspolitk machen! So wie jüngst, als der Betriebsrat den Chefs zeigte, wie sie für die Weiterqualifzierung von 450 KollegInnen Geld bei der EG holen können.
Und dann kämen die Chefs doch immer wieder mit all den althergebrachten Sparvorschlägen: Streichung der Frühstückspause, Entlassungen... Wesentlich vielversprechender sei es doch, Hierarchien und damit Chefs abzubauen und in Produktionsgruppen zu arbeiten. Oder die Unfallhäufigkeit zu senken. Oder die Marketingabteilung besser auszustatten, damit die mehr Schiffsaufträge angelt ...
Und wenn Vulkan-Chef Hennemann noch so oft sagt, daß er das Großdock nicht bezahlen will - auch der Betriebsrat will keinesfalls klein beigeben. Schließlich war es die Arbeitnehmervertretung gewesen, die im vergangenen Jahr an die Politik mit der Forderung nach einer Schleusenerweiterung herangetreten war. Ja, nach einer Schleusenerweiterung, denn ein größeres Dock nützt solange nichts, als nicht auch die Fischereihafenschleuse verbreitert wird. Die hat auch noch kein Panmax-Maß - darunter leidet nicht nur die Reparaturwerft Lloydwerft, sondern zum Beispiel auch das Fischverarbeitungsgewerbe: Die großen Frostschiffe müssen ihre Ladung im Überseehafen löschen, per Lkw werden dann jährlich 70.000 Tonnen Fisch durch die Stadt zum Fischereihafen gefahren.
Doch wenn nun der Vulkan-Konzern-Chef überall verlauten läßt, daß er kein Freund des Großdocks ist, dann wird möglicherweise der Senat die riesige Investition von 230 Millionen Mark für eine neue Schleuse wieder streichen wollen, befürchten die Schichau Seebeck-Betriebsräte - schließlich steht eine neue Sparrunde bevor.
Wie wenn das noch nicht genug wäre, droht den beiden Verbund-Werften Schichau Seebeck und Lloyd nun neues Ungemach: Die beiden Geschäftsführungen arbeiten derzeit an einem Sparkonzept. Herauskommen wird irgendwas zwischen Fusion und Kooperation, auf jeden Fall Stellenstreichungen.
Christine Holch
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