: Freisetzungsreigen
An insgesamt zehn Standorten sollen dieses Jahr Gentech-Organismen ausgesetzt werden ■ Von Wolfgang Löhr
Mit dem neuen Gentechnikgesetz scheint der Forschungsstandort Deutschland, zumindest soweit er Freisetzungsexperimente mit gentechnisch veränderten Organismen betrifft, gesichert zu sein. Verteilt über die ganze Bundesrepublik werden dieses Jahr voraussichtlich an zehn verschiedenen Standorten im Labor kreierte Organismen ausgesetzt. Auf der Warteliste stehen Kartoffeln, Zuckerrüben, Raps, Mais und – eine Premiere für die Bundesrepublik – erstmals auch genmanipulierte Bodenbakterien.
Zum einen sollen die Feldversuche der Kleinwanzlebener Saatzucht (KWS) und des Berliner Instituts für Genbiologische Forschung (IGF) im niedersächsischen Northeim und im bayerischen Oberviehhausen wiederholt werden. Dort setzten die Pflanzengenetiker im vergangenen Frühjahr virusresistente Zuckerrüben und zwei verschiedene Linien der Kartoffelsorte Desiree aus. Die anderen geplanten Vorhaben sind neu hinzugekommen: Gleich vier Anträge reichte der Frankfurter Chemiekonzern Hoechst beim Bundesgesundheitsamt (BGA) im Oktober ein. Auf Versuchsstationen in Wörrstadt bei Mainz, im emsländischen Gersten, in Friemar, Thüringen, und im bayerischen Gersthofen will der Chemiekonzern in einem dreijährigen Feldversuch herbizidresistenten Raps und Mais anbauen. Die Pflanzen sind gegen das Hoechst- Totalherbizid Basta unempfindlich gemacht worden. Noch vor dem Jahreswechsel zog Hoechst die Anträge aber wieder zurück, um sie dann Anfang Januar erneut – diesmal unter dem Namen der inzwischen gegründeten Hoechst- Schering-Tochter AgrEvo GmbH Berlin – dem BGA vorzulegen. Die Chemie-Multis nutzten so die neue Gesetzeslage aus, um die im Gentechnikgesetz nicht mehr vorgesehenen öffentlichen Anhörungsverfahren zu umgehen. Für die gleichen Pflanzen liegt ein weiterer Antrag vom Institut für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung der TU München vor. Freisetzungsort ist diesmal das Gut Roggenstein bei München.
Um das „gefürchtete“ Anhörungsverfahren zu vermeiden, nahm auch das Kölner Max- Planck-Institut für Züchtungsforschung (MPI) einen doppelten Anlauf. Nachdem die Kölner Gentechniker, die mit ihren mißlungenen Petunienexperimenten die – wie sie selbst zugaben – „Vorreiterrolle“ übernommen hatten, wollen sie jetzt auch wieder dabeisein: Diesmal sollen es Kartoffeln sein, denen ein Resistenzgen gegen ein Pflanzenvirus, das Kartoffelblattrollvirus (PLRV), eingeschleust wurde. Der vorläufig letzte im Bunde ist die Universität Bielefeld, die zusammen mit der Forschungsanstalt für Land- und Forstwirtschaft (FAL) stickstofffixierende Bodenbakterien, ausgestattet mit dem Leuchtgen des Glühwürmchens, auf dem FAL- Gelände in Braunschweig und einer Versuchsstation in Paulinenaue, einem kleinen Ort in der Nähe von Potsdam, freisetzen möchte. Hier sind die Antragsunterlagen aber noch unvollständig, obwohl die Auslegung bereits für Oktober geplant war. „Wir warten noch auf Nachforderungen“, so der zuständige BGA-Mitarbeiter Peter Brandt.
An fast allen Standorten haben sich inzwischen Initiativen gebildet, die sich gegen die Freisetzungsversuche aussprechen. Unter dem Namen Bundesweites Bündnis gegen die Gefahren der Gentechnik schlossen sich über 30 Gruppen und Organisationen zusammen, darunter mehrere Kreis- und Landesverbände des BUND und der Grünen/Bündnis 90, das Umweltinstitut München und das Gen- ethische Netzwerk in Berlin. Sie wollen damit, so heißt es in ihrem Aufruf, „den Genehmigungsbehörden und Forschungsinstituten einen effektiven Widerstand entgegensetzen und gegen die Freisetzungen mobilisieren“. Die Experimente bringen nach Angaben des Bündnisses „nicht absehbare Gefahren mit sich“. So könne nicht ausgeschlossen werden, erklärten Sprecher der Initiativen, daß sich die manipulierten Gene unkontrolliert auf verwandte Wildkräuter ausbreiteten.
Ungeklärt ist ebenfalls, heißt es weiter, ob „transgene Pollen in Honig gelangen und zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung führen können“. Daß die transgenen Pollen von Bienen aufgenommen werden, bestätigte der Experte Professor Drescher von der Uni Bonn. Allein im Einzugsbereich des Versuchsfeldes auf dem Gut Roggenstein gibt es nach Angaben des örtlichen Imkervereins etwa 10 Bienenzüchter mit rund 100 Völkern. Ob der Honig durch die Pollen belastet wird, darüber gibt es laut Drescher keine Untersuchungen. Daß die Pollen ein allergenes Potential besitzen, geht auch aus den Antragsunterlagen hervor. So könnten die transgenen Pollen durchaus ein erhöhtes Allergierisiko in sich bergen. Diese Gefahr wird vom BGA als gering oder nicht vorhanden eingeschätzt. Dort spricht man von einem „ideellen Risiko“. Gemeint sind damit die Umsatzeinbußen der Imker, die möglicherweise auf ihren Honig sitzenbleiben werden.
Während das Münchener Freisetzungsvorhaben unter dem Titel Biologische Sicherheitsforschung läuft, geht es bei den ArgEvo-Versuchen bereits um eine Produktzulassung. Die Münchener Wissenschaftler wollen untersuchen, ob die transgenen Pflanzen sich auskreuzen oder verwildern können. Untersucht werden soll auch, ob das Gen, das die Basta-Resistenz vermittelt, durch horizontalen Gentransfer von Mikroorganismen aufgenommen wird und sich so in der Umwelt ausbreitet. Finanziert von einer bayerischen Staatsstiftung, kommt so die AgrEvo kostengünstig an Untersuchungsergebnisse, die sie später bei einer Saatgutzulassung vorlegen kann. Wie aus den Antragsunterlagen hervorgeht, werden Basta-resistente Rapspflanzen in Kanada schon seit zwei Jahren in der amtlichen Sortenprüfung getestet.
Bei ihren eigenen Versuchen geht es der AgrEvo in erster Linie um eine Ausweitung der zugelassenen Anwendungsbereiche des Totalherbizids Basta. Bisher gibt es nur eine eingeschränkte Zulassung für das Hoechst-Herbizid. Mit den resistenten Pflanzen können die Anwendungen und somit der Absatz drastisch ausgeweitet werden. Dazu muß aber ein erneutes Zulassungsverfahren bei der Biologischen Bundesanstalt in Braunschweig durchlaufen werden. Die dazu notwendigen Daten – wie hoch muß bei verschiedenen „Unkrautarten“ dosiert werden, gibt es Giftrückstände in den Pflanzen, oder wie wirken die Abbauprodukte – sollen mit den Experimenten ermittelt werden. Ob bei einem erhöhten Einsatz des Pflanzengiftes die AgrEvo-Rechnung, mit Gentechnik werde der Pestizid-Einsatz reduziert, noch aufgeht, scheint bei dieser Strategie fraglich zu sein.
Seit gut zwei Wochen liegen schon die ersten Antragsunterlagen bei den Behörden zur Einsichtnahme für die Öffentlichkeit aus: von AgrEvo und von MPI. Bis Anfang März besteht jetzt noch die Möglichkeit, schriftliche Einwendungen gegen die Vorhaben vorzubringen.
Infos, Kontaktadressen und Einwendungen gegen Rückporto bei: Umweltinstitut, Elsässer Str. 30, 81667 München, oder Gen-ethisches Netzwerk, Schöneweider Str. 3, 12055 Berlin
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