: Andrej Kosyrew, der „Junge aus Guttaperch“
Der russische Außenminister gehört einer neuen Politikergeneration an / Die Sympathie der imperialen kommunistischen Elite verscherzte er sich schnell / Vom Atlantiker zum Vertreter von „Rußlands Besonderheit“ ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath
Hartnäckigkeit und Widerstandsfähigkeit hat Rußlands Außenminister Andrej Kosyrew wiederholt unter Beweis gestellt. Dutzende Male hatte man seinen Rücktritt oder gar seine Entlassung vorausgesagt. Den reformfeindlichen Kräften war der neue Kopf im einstmals prestigereichen Außenministerium des Sowjetreiches am „Smolenskaja Ploschschad“ ein ständiger Dorn im Auge. Sie drohten, ihn zu abzusägen, doch er überstand alle Anfeindungen und Krisen. Dazu gehört mehr als nur ein Wille. Andrej Kosyrew hat es faustdick hinter den Ohren, will es scheinen. Wie keiner seiner ausländischen Amtskollegen stellte er die internationalen Beobachter seit Monaten immer wieder vor neue Rätsel. Und er bleibt eisern. Hilfestellungen leistet er nicht, in die Karten läßt er sich schon gar nicht schauen.
Seine Karriere entspricht keiner im voraus geplanten Gipfelbesteigung. Die Desintegration der UdSSR katapultierte ihn fast zufällig an die Spitze des Außenministeriums. Im Jahre 1990 verließ er den Dienst im sowjetischen Außenministerium, nachdem der Vorsitzende des Ministerrats der Russischen Föderation, Iwan Silajew, ihn auf den neugeschaffenen Posten hinüberkomplementiert hatte. Doch damals existierte noch die Sowjetunion, und es gab Eduard Schewardnadse, dem keiner so leicht das Wasser reichen konnte. Rußland unter Boris Jelzin machte sich gerade erst ein wenig flügge. Im Schatten der Publikumslieblinge Gorbatschow und Schewardnadse oblag ihm die undankbare Aufgabe, Rußlands „Separatinteressen“ der Welt zu vermitteln. Er war Minister mit „beschränkter Haftung“, ohne richtiges Domizil und standesgemäßen Zierrat.
Nach dem gescheiterten Putschversuch gegen Gorbatschow im August 91 fand er sich unerwartet in einer Schlüsselposition wieder. An dieser Stelle erwies er sich schnell als Anhänger eines souveränen Rußlands, wie es Jelzin zum Leidwesen Gorbatschows damals propagierte. Maßgeblich bereitete er im Herbst 91 das Abkommen der drei slawischen Republiken in Belowesch vor, das der Sowjetunion den endgültigen Todesstoß versetzte. Damit hatte er sich jede Sympathie der imperialen kommunistischen Elite verscherzt.
Kosyrew befand sich ständig in sturzgefährdeter Schieflage. Man sagte dem Neuling mangelnde Erfahrungen und Primaballerina-Allüren nach. Neid verfolgte den damals 41jährigen Blitzkarrieristen, der keine diplomatische Praxis als Botschafter vorweisen konnte. Statt dessen hatte er Reden für die sowjetischen Repräsentanten bei der UNO geschrieben und sich als Referent im Bereich „Internationale Organisationen“ umgetan. Allerdings brachte er die klassischen Voraussetzungen für den diplomatischen Dienst mit. 1974 absolvierte er die Kaderschmiede der Sowjetdiplomatie, das Institut für internationale Beziehungen in Moskau. Dennoch hob er sich vom bekannten Typus des Sowjetemissärs ab. Mit einer Arbeit über die „Rolle der UNO im Entspannungsprozeß“ promovierte er 1977 und wies sich als Intellektueller aus. Das damalige Moskau traute Denkern nicht.
In der Tat ließ er als frischgebackener Außenminister notwendiges Fingerspitzengefühl vermissen. Die neuen Staaten der GUS wollte er sofort um ihre Ansprüche auf die alten Botschaften der UdSSR prellen. Die gedienten Kader im übernommenen Ministerium faßte er nicht mit Glacéhandschuhen an. Damals neigte man dazu, es seiner Unsicherheit und mangelnden Erfahrung zuzuschreiben. Man verstand ihn kaum, wenn er redete. Es hörte sich an, als nuschele er in seinen eigenen Bart.
All das hat er schnell abgelegt. Die Russen nennen ihn „guttapertschiwij maltschik“ – einen Jungen aus Guttaperch. Dahinter verbirgt sich ein Isomer des Naturkautschuks, das man früher als Isoliermaterial verwendete. Es ist nicht so elastisch wie Kautschuk, aber im entscheidenden Moment dehnt es sich und gibt nach ...
Mit Wirtschaftsreformer Jegor Gaidar und Boris Fjodorow bildete Kosyrew die Troika einer frischen Politikergeneration in Rußland. Überzeugte Demokraten, denen daran gelegen war, Rußland aus der Isolation herauszuführen und es von seinem überkommenen imperialen Auftreten zu befreien. Fluchtpunkt war die Einbindung des Riesenreichs in die Reihe der führenden westlichen Industrienationen. Kosyrews bündige Maxime ehemals: „Je besser es meinen Nachbarn geht, desto besser bin ich selbst dran.“ Und er brachte es vor mit einer Überzeugung, die keiner ernsthaft bezweifeln wollte.
Die Unbeirrtheit Jelzins nach innen verkörperte er nach außen. Im Dezember 92 stockte der Welt für einen Moment der Atem. Kosyrew nutzte das Forum einer internationalen Konferenz in Stockholm, um sich der Solidarität der demokratischen Welt für das umbrechende Rußland zu versichern. Er verlas eine Demarche, die die Ziele der chauvinistischen und bolschewistischen Opposition auf bedrohliche Weise vor Augen führte. In Moskau tobte der Kampf um die Macht zwischen Präsident und dem reaktionären Volksdeputiertenkongreß. Noch einmal hatte sich Kosyrew als ein wachsamer Demokrat ausgewiesen.
Zu Hause mußte er sich immer mehr Vorwürfe anhören, die nationalen Interessen Rußlands nicht ausreichend zu vertreten. Im Umgang mit dem „nahen Ausland“ – dem einstigen imperialen Vorhof des Russischen Reiches – sagte man ihm Gleichgültigkeit und Schwäche nach. Tatsächlich hatte er sich wenig um die alten Satelliten geschert. Er vertrat die junge Linie der „Atlantiker“ – in der Hoffnung, eine schnelle Integration könnte Rußland vor allzu großen Schmerzen der Erneuerung bewahren. Er setzte auf eine Art neoliberales Institutionenmodell, das die Weltordnung nach Ende des Kalten Krieges neu bestimmen sollte. Ihm standen Politiker gegenüber, die an Rußlands Traditionen festhalten wollten und dessen Rolle als einer eurasischen Vormacht beschwörten. Dies wird verquickt mit allerlei mystischen Verstiegenheiten eines rußländischen Messianismus: die Preisgabe des Imperiums dürfe nicht von Dauer sein. Zumindest müßten die russischen Interessen dort Priorität genießen.
Kosyrew, der in Brüssel geboren wurde und lange Zeit im Ausland verbrachte, dürfte anfangs über derartige antiquarische Träume geschmunzelt haben. Es paßte so gar nicht zu seinem Kurs und dem Image, das er von sich pflegte. Dann fing er selbst an zu bramarbasieren und von „Rußlands Besonderheit“ zu fabulieren. Damals, im Herbst, im Wahlkampf. Hinter vorgehaltener Hand hieß es, alles sei nur Effekthascherei, um den Chauvinisten und Altkommunisten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Schließlich war es Kosyrew, der den Japanern sogar zwei Kurileninseln zurückgeben wollte und deshalb arg in Seenot geriet. Er schien Rußland nicht allein mit dem Territorium gleichzusetzen.
Mittlerweile ist er der Selbsthypnose verfallen und zu einem Eurasier mutiert. In Peking spricht er von der eurasischen Macht Rußland. Dem Westen schreibt er wütend ins Stammbuch, er könne seine kostenlosen Ratschläge gerne für sich behalten. Zurück in Moskau, zitiert er die Botschafter aus dem „nahen Ausland“ zu sich und erläutert die neue Linie: Der Abzug russischer Truppen sei unter den gegebenen Umständen eine Zumutung für Rußland.
Gleichzeitig drückt er sich, die neue russische Resolutheit in vorderster Front zu verteidigen. Nach Serbien schickt er lieber seinen Stellvertreter Tschurkin. Ein direktes Eingreifen könnte schließlich dem Image schaden. Er schreibt lieber in Athen einen wohlklingenden Grundsatzartikel mit Klaus Kinkel. Schließlich gilt es, sich nach allen Seiten hin abzusichern. Die besondere Nähe zu Deutschland paßt den Eurasiern seit jeher recht gut ins Konzept. Die „Sonderrolle“ verbindet.
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