: Treuhand will Tankstellen wiederhaben
Elf Aquitaine sucht nach neuen Vertragspartnern für Raffinerie in Leuna / Treuhand erwägt Vertragsstrafe in dreistelliger Millionenhöhe und Rücknahme des Minol-Netzes ■ Von Annette Jensen
Berlin (taz) – Heute ist Stichtag. Spätestens bis zum 28. Februar 1994 muß das vom französischen Ölkonzern Elf Aquitaine geführte Konsortium „in substantieller Weise“ mit dem Bau der Raffinerie in Leuna begonnen haben – so steht es im Vertrag mit der Treuhand. Zu sehen ist von dem Milliardenprojekt indes noch nichts. Nachdem die Breuel-Behörde bisher stets Zweifel an der Einhaltung des Kontrakts abgewiegelt und immer wieder den baldigen Baubeginn verkündet hatte, traf sich die Chefin letzte Woche höchstpersönlich mit dem Geschäftsführer des Ölmultis, schreibt der Spiegel. Vertragsstrafen in dreistelliger Millionenhöhe und eine Schadensersatzklage soll sie Philippe Jaffré angedroht haben.
Elf Aquitaine hatte in den letzten Wochen immer deutlicher gemacht, daß sie nicht mehr Hauptinvestor für das Projekt in Ostdeutschland sein werde und andere Partner suche. Bisher ist nur noch Thyssen mit einem Drittel mit von der Partie. Der Wind hatte sich vor allem gedreht, seit die Sozialisten im letzten Jahr bei den Parlamentswahlen verloren und infolgedessen auch ein Chefwechsel beim bisherigen Staatskonzern Elf stattfand.
In der Treuhand wird nun eifrig recherchiert, welche Chancen es für die Rückübernahme der inzwischen noch 670 Minol-Tankstellen gibt. Das lukrative Spritverkaufsstellennetz war nämlich der eigentliche Grund, warum Elf im Sommer 1992 den Bau der Raffinerie zusagte. Andere Minol-Interessenten hatten beim Angebot der Kombi-Packung damals abgewunken: Eine Raffinerie mit 10 bis 12,5 Millionen Tonnen jährlich könne sich bei dem eh schon gesättigten Markt nicht rechnen.
Die Anlage sollte das Herzstück des ostdeutschen Chemiedreiecks werden, für das Kanzler Helmut Kohl mehrfach eine Bestandsgarantie als „industrieller Kern“ gegeben hat. Schon vor dem ersten Spatenstich hat sie die SteuerzahlerInnen viel gekostet: Jedes Jahr buttert die Breuel-Behörde etwa eine Milliarde Mark zu, um die alte Raffinerie weiterzubetreiben und so bis zur Fertigstellung des Neubaus den Markt zu erhalten. Sollte die Elf-Raffinerie nicht rechtzeitig bis 1995 fertig sein, wird der Staat notgedrungen weiter zuschießen müssen – vorausgesetzt, die EU- Kommission spielt mit. Und auch der Verkauf der Minol-Tankstellen brachte damals offenbar kein Geld in die Kasse. Der Erdöl-Informationsdienst EDI zitierte im Herbst 1992 aus einem Papier des Treuhand-Verwaltungsrats. Demnach zahlte Elf nur 470 Millionen Mark für die damals rund 900 Tankstellen, während die Treuhand für Sozialpläne und Altlastensanierung etwa 500 Millionen Mark drauflegte. Insgesamt soll der Vertrag die Breuel-Behörde 2,2 Milliarden Mark gekostet haben. Es könnte noch teurer werden.
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