: Öko-Umbau mit Instrumenten der Marktwirtschaft
■ Die Partei wird mit einem Programm in den Wahlkampf ziehen, das Steuererhöhungen im Umweltbereich mit aktiver, ökologisch orientierter Arbeitsmarktpolitik verbindet
„Im Wahlkampf müssen wir natürlich auf die Wähler schielen, es geht da nicht um uns selbst.“ Undine von Blottnitz, Europa-Abgeordnete und alte Anti-AKW- Kämpferin, warnte auf dem Mannheimer Wahlparteitag vor allzu viel grünem Radikalismus. „Wenn wir etwas verlangen, müssen wir den Wählerinnen und Wählern auch sagen, wie wir dahin kommen wollen.“ Bündnis 90/Die Grünen beschlossen, mit einem Programm in den Wahlkampf zu ziehen, das erhebliche Steuererhöhungen im Umweltbereich mit einer aktiven, ökologisch orientierten Arbeitsmarktpolitik und einer sozialpolitischen Umverteilung von oben nach unten verbindet. Und sie wollen dafür die Instrumente der Marktwirtschaft einsetzen.
Eine neu eingeführte Primärenergiesteuer (die Besteuerung des Kohle-, Öl-, Gas- und Atomenergieverbrauchs) mit einem ständig steigenden Aufkommen von zunächst jährlich 12,2 Mrd. Mark soll direkt in den ökologischen Umbau fließen – für Blockheizkraftwerke, ökologisches Bauen und abfallarmes Produzieren. Die Mineralölsteuer würde zunächst um 50 Pfennige pro Liter erhöht und dann weiter in Richtung auf die Fünf-Mark-Schwelle ansteigen. Die erheblichen Einnahmen (50 Pf. mehr bedeuten insgesamt 27 Mrd. Mark) sollen zum schnellen Umbau des Verkehrssystems genutzt werden. Die Besteuerung von Vermögensbesitzern schließlich soll mindestens 30 Mrd. Mark zusätzlich bringen für eine soziale Grundsicherung, die den Namen auch verdient.
Vehement stritten die Wirtschafts-, Umwelt- und FinanzpolitikerInnen der Partei über den besten Weg zu diesen Zielen. Und ein Auge hatten sie dabei immer auf den Empfindlichkeiten der WählerInnen. So warb etwa Manfred Busch, finanzpolitischer Sprecher der NRW-Landtagsfraktion, mit Elan für eine deutlichere politische Sprache als im präsentierten Programmentwurf des Bundesvorstands. Die Unternehmen würden heute nurmehr 20 statt früher 30 Prozent Steuern zahlen. Das Gerede über die leeren öffentlichen Kassen verschleiere den Reichtum der wenigen in der Gesellschaft. Über 100 Mrd. Mark an Steuern würden jährlich hinterzogen. „Mir ist der vorgeschlagene Text einfach zu nebulös.“ Doch die Delegierten hielten Buschs Politikvorstellung an dieser Stelle für nicht wahlkampffähig. Reinhard Bütikofer aus Baden-Württemberg hatte sie vor der Abstimmung gefragt, ob sie allen Ernstes glaubten, die finanzpolitischen Probleme im Jahr eins nach Waigel könnten als „Gerede“ auf die leichte Schulter genommen werden. Busch unterstelle doch, „daß wir die Unternehmensbesteuerung um 50 Prozent erhöhen und die Besteuerung von Immobilien versiebenfachen“, so Bütikofer. Das sei „Wolkenkuckucksheim“, mit dem er nicht in den Wahlkampf ziehen wolle.
In der Atompolitik entschieden die Delegierten andersherum: Der Bundesvorstand hatte vorgeschlagen, nach der Bundestagswahl mit dem Atomausstieg zwar sofort zu beginnen, aber kein Datum für die Erreichung des Ausstiegsziels zu nennen. Eine von der Parteilinken eingebrachte Alternative hielt hingegen den Ausstieg in zwei Jahren für „rechtlich möglich, technisch umsetzbar und wirtschaftlich verkraftbar“.
Staatsverschuldung blieb ausgeklammert
Joschka Fischer ging persönlich in die Bütt, um die 600 Delegierten für die mildere Variante zu gewinnen. „Technisch brauchen wir keine zwei Jahre“, aber juristisch- politisch sei das „nicht umsetzbar“. Fischer hielt mit seiner Motivation nicht hinter dem Berg: „Warum sollen wir die Fehler der Niedersachsen wiederholen, die werden im Wahlkampf beständig gefragt, warum legt ihr das AKW Stade nicht (wie vor vier Jahren im Wahlkampf versprochen, d. Red) still.“ Es half nichts. Die Delegierten waren der Meinung, in der Atompolitik würden von der Partei klare zeitliche Zielvorgaben erwartet. Die Mehrheit der Bevölkerung stehe schließlich hinter ihnen.
Auch bei der zentralen Frage, was denn mit den Milliarden aus der Ökosteuer passieren soll, schielten die Delegierten zunächst auf ihre Wählerklientel. „Eine ökologische Partei führt ökologische Steuern ein, weil sie damit lenken will, nicht um den Sozialstaat zu finanzieren“, warb der Baden- Württemberger Realo Fritz Kuhn für eine Variante zum Vorschlag des Bundesvorstandes. Unterstützt vom NRW-Linken Busch diesmal: Nur wenn die Einnahmen für ökologische Zwecke wieder ausgegeben würden, seien solche Steuern den WählerInnen zu vermitteln. Der Vorschlag des Bundesvorstands, der die Einnahmen auch für die Senkung der Beiträge der Arbeitslosenversicherung nutzen wollte, um damit Arbeit billiger und Naturverbrauch teurer zu machen, hatte keine Chance. „In der Verbindung von Arbeit und Umwelt liegt ein Pfund, mit dem wir wuchern sollten“, warb Werner Schulz vom Bündnis 90. Doch die Delegierten hielten das Pfund für eine 100-Gramm-Portion.
So heftig über die künftigen Milliardeneinnahmen diskutiert wurde, so konsequent verweigerten sich die Finanzpolitiker der Partei der direkten Auseinandersetzung mit Theo Waigels Schuldenberg. Vorstandssprecher Ludger Volmer gab zur Eröffnung des Parteitages die Losung aus: keine grüne Austeritätspolitik. Der Bremer Senator Ralf Fücks entschuldigte die Seinen mit der Bemerkung: „Es hat ja auch keiner eine Lösung.“ Und selbst wenn, so NRW-Haushaltspolitiker Busch, Bündnis 90/Die Grünen eine Lösung hätten, „die würde uns doch nicht abgenommen“. Und so richtig suchen wollten weder die Vorturner Fücks und Busch noch die Delegierten: „Es gibt keine Bereitschaft, die Lösung drängender Fragen vom Verschuldungsabbau abhängig zu machen“, meinte Busch. Und der Parteitag gab ihm recht. Einen Antrag, die jährliche Neuverschuldung nicht nur stabil zu halten, sondern „sofort deutlich zu verringern“ und sich mit den fast 2.000 Milliarden Staatsverschuldung intensiver zu beschäftigen, lehnten die Delegierten in Mannheim mit großer Mehrheit ab. Hermann Tenhagen, Mannheim
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