: Attacken von Nazis verdoppeln Statistik
■ Innensenator veröffentlicht Kriminalitätsquote 1993 / Berlin rangiert damit auf Platz 4 der deutschen Großstädte
Jeden Tag fanden 1993 in Berlin fast fünf rechtsextremistische und fremdenfeindliche Straftaten statt. Das sind doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Dies ergibt sich aus einem Bericht zur Kriminalitätsstatistik, die Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) gestern vorlegte. Insgesamt verzeichnete die polizeiliche Sonderermittlungsgruppe „Politisch motivierte Straßengewalt“ 2.060 derartige Delikte, das sind 46,3 Prozent mehr als im Vorjahr. Besonders aktiv waren die Neonazis in Berlin nach dem Brandanschlag von Solingen im Mai 1993. Heckelmann relativierte die Zahl durch den Hinweis, die Sonderermittlungsgruppe, die die fremdenfeindlichen Aktionen zentral erfaßt, sei erst am 1. Dezember 1992 eingerichtet worden. Sie erfaßt auch Parolenschmierereien, und die seien in Berlin besonders häufig gewesen.
Insgesamt aber, berichtete der Innensenator, sei die Kriminalität in Berlin nur um 1,9 Prozent gestiegen. Mit 566.000 registrierten Straftaten, davon 120 Morde und Totschlagsdelikte, nehme Berlin den vierten Platz in der bundesweiten Statistik ein. Aufgeklärt wurden im vergangenen Jahr 41 Prozent aller Straftaten, das sind drei Prozent mehr als im Vorjahr. Ausdrücklich lobte er die „hervorragende“ Ermittlungstätigkeit der Polizei. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hingegen betonte in einer Presseerklärung, daß die Polizei jetzt „die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit überschritten habe“.
Die gute Aufklärungsarbeit sei mit „Hunderttausenden von Überstunden“ bezahlt worden. Die technische Ausstattung sei miserabel, und die „extreme Arbeitsbelastung“ führe dazu, daß insbesondere die Ermittlungen im Bereich der Schwerstkriminalität schleppend verlaufen. Während Innensenator Heckelmann behauptete, daß die Lage sich in Berlin stabilisiere, spricht die GdP davon, daß sich die Stadt „auf dem Weg zur Metropole des Verbrechens“ aufmacht. Vage blieben die Angaben des Innensenators über den Bereich des Organisierten Verbrechens. Die Öffnung nach Osteuropa habe „neue und deliktübergreifende Erscheinungsformen“ hervorgebracht, Zahlen legte er nicht vor. In Berlin gibt es vier Sonderkommissariate, die sich mit „OK-Delikten“ von Angehörigen der GUS-Staaten, aus Ex-Jugoslawien, aus Rumänien und aus Südamerika und Italien beschäftigen. Die „importierte“ Kriminalität sei im Verhältnis zum Vorjahre stark angestiegen. Von den über 154.000 Tatverdächtigen seien ein Drittel „Nichtdeutsche“. Sie seien überdurchschnittlich oft in Eigentumsdelikte verwickelt und unterdurchschnittlich bei Gewalttaten und Sexualverbrechen.
Im Innenausschuß des Parlaments kritisierten die FDP und die Grünen, daß der Innensenator Berlin im Verhältnis zu Brandenburg zu sehr lobe. Die Behauptung, daß dort 34 Prozent mehr Straftaten als im vergangenen Jahr stattfanden, sei „demagogisch“. Die hohe Zahl erkläre sich nur dadurch, daß erstmalig überhaupt eine Statistik geführt werde. aku
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