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„Welthistorischer Rülpser“

„Literatur am Ende der Politik“ – Ein Symposion der Zeitschrift „konzepte“ in den Räumen der Bonner Friedrich-Ebert-Stiftung  ■ Von Bernd Imgrund

Brauchen wir eine neue politische Literatur? Unter dieser Fragestellung erschien im Frühjahr 1993 eine Ausgabe der Essener Zeitschrift konzepte, die herausgegeben wird vom „Bundesverband junger Autorinnen und Autoren“. Die Antworten der angeschriebenen Literaturwissenschaftler, Kritiker und Autoren fielen kontrovers aus, so daß die Klärung von An- und Widersprüchen politischer Literatur Anlaß zu einer weiteren Diskussion an diesem Wochenende gab.

Eine erste Gesprächsrunde versuchte die späten 60er Jahre mit der Situation nach 1989 kurzzuschließen. Für den Kriegsteilnehmer Dieter Wellershoff markiert das Jahr 1945 den Einschnitt, der sein Leben in zwei Hälften trenne. Erst mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Systeme und dem Fall der Mauer sei für ihn wieder „Geschichte spürbar“ geworden, während ihm APO und die Poetik- Thesen des berühmten „Kursbuch 15“ (in dem von verschiedenen Seiten der „Tod der Literatur“ diagnostiziert wurde) immer fremd geblieben seien. „Das Kollektiv ist der Wahnsinn.“ Diesen Eindruck habe er im Nationalsozialismus wie in Verbindung mit den darauf folgenden sozialistischen Versuchen in Osteuropa gewonnen.

Wie Wellershoff bestätigte auch Freimut Duve, kulturpolitischer Sprecher der SPD und einst Herausgeber der Reihe „rororo aktuell“, daß Literatur heute angesichts der rasanten politischen Umbrüche ein zu langsames Medium sei, um unmittelbar Zeitgeschehen aufzugreifen. Noch für die 60er Jahre, die unter dem „Tierkreiszeichen der Schnecke“ gestanden hätten, konstatiert er einen Tempovorteil der Literatur, der es ihr ermöglicht habe, neue Entwicklungen zu dramatisieren, bevor sie von der nächsten historischen Welle überspült wurden. Die „wunderbare Welt“ der 60er sei zudem bestimmt gewesen durch klare Feindbilder, und mit Willy Brandt habe man damals eine „Vaterfigur“ verehrt, die sich nun nicht mehr finden lasse. Dem stimmte auch Verleger Klaus Wagenbach zu. Mit der Figur Brandts, für dessen Kanzler- Inthronisierung er dem SPD- Wahlkontor beigetreten sei, habe man Visionen verknüpft („Mehr Demokratie wagen“), die die „alten Gespenster“ von Adenauer bis Erhard vertreiben sollten. Der Autor Hanns-Josef Ortheil widersprach ihm in der Ansicht, daß die literarischen Reaktionen auf 1989 lediglich auf sich warten ließen. Der Mauerfall sei nur ein „welthistorischer Rülpser“ gewesen, an dem die westdeutschen Schriftsteller nicht aktiv teilgenommen hätten. Die Wiedervereinigung werde in der Literatur, trotz Monika Maron und Wolfgang Hilbig, immer weniger Widerhall finden, da die davon unmittelbar betroffenen ostdeutschen Autoren, wie die ehemalige DDR insgesamt, in wenigen Jahren auf westlichen Standard getrimmt sein würden. Das bestimmende Thema der letzten zehn Jahre, die Auseinandersetzung mit der Mediengesellschaft, werde auch der zukünftigen Literatur die Richtung weisen.

Nach dieser Auftaktveranstaltung trafen sich samstags mit Carmen Francesa Banciu, Richard Wagner (beide aus Rumänien, heute in Berlin lebend) und Jiri Grusa (Tschechische Republik) drei osteuropäische Autoren, ergänzt durch Horst Domdey, Professor an der FU Berlin mit dem Spezialgebiet DDR-Literatur. „Von der Kritik des totalitären Systems in die Krise des Umbruchs“: Dieser Fragestellung wollte das Podium nicht folgen. Kritik habe es in der rumänischen Literatur, so Banciu, wenn überhaupt, dann nur über den Umweg der „erlaubten“ Kritik am Stalinismus gegeben. Mit Richard Wagner war man sich darin einig, daß das größte Verbrechen der sozialistischen Systeme die „Vernichtung der Terminologie der Aufklärung“ gewesen sei. Wer die „Verantwortlichkeit für das eigene Wort“ (Grusa) eingefordert habe, geriet in Konflikt mit dem System, weil die Partei den Alleinanspruch auf Begriffsdefinition und Sprachverwaltung erhob. Die Schriftsteller, die sich diese Zwangsjacke nicht ohnehin angezogen und zu Parolenlieferanten der Staatsmacht wurden, retteten sich in den historischen Roman, ins Phantastische oder Surrealistische. Von einer Krise der osteuropäischen Literatur nach Auflösung des Eisernen Vorhangs könne laut Grusa keine Rede sein, jetzt trenne sich lediglich die Spreu vom Weizen, das heißt, es zeige sich, wem das Schreiben nur als Kraftquelle für eine Art kreative Opposition gedient habe und wer dauerhaft Schriftsteller sei.

Die Lesung Thomas Klings zum Abschluß des Vorabends verwies bereits auf die Reaktionen, die die Forderung der konzepte-Redaktion nach einer neuen politischen Literatur unter der jüngeren Schriftstellergeneration auslösen würde. Kling, der immer noch vornehmlich als „Sprachzertrümmerer“ gefeiert und mit postmodernen Literaturtheorien in Verbindung gebracht wird, ist natürlich auch ein politischer Autor, wenn man darunter die Einbindung aktueller politischer Motive in literarische Texte versteht. Ob Desertion in Kriegszeiten, Krawalle in Fußballstadien, Umweltzerstörung oder Pogrome gegen Minderheiten: All diese Zeitthemen finden sich in Tageszeitungen, Politikerreden wie auch Klings mit „experimentelle Lyrik“ nur unzureichend kategorisierten Gedichten. Dementsprechend erklärten die Podiumsteilnehmer, von Johannes Jansen und Sabine Peters über Ulrich Woelk und Matthias Altenburg bis zu Klaus Modick, das Diskussionsmotto für obsolet: Wie eingangs der Veranstaltung Hanns-Josef Ortheil, erklärte auch Klaus Modick die Einklage von Politikhaltigkeit für eine „literaturfeindliche“ Zumutung, die vom über die Jahre politisierten deutschen Feuilleton (in Anspielung auf Artikel von Ulrich Greiner, Frank Schirrmacher und zuletzt Iris Radisch) an die Schriftsteller herangetragen werde. Altenburg, der aufgrund seiner Spiegel-Polemik (42/92) gegen die jüngere selbstreflexive Literatur à la Thomas Hettche & Co. als Auslöser des jungen deutschen Literaturstreits gilt, bezeichnete die Diskussion als „zyklische Wiederkehr des akademischen Irrsinns“. Indem er feststellte, daß sich Literatur „nicht mit der Elle der Politik“ messen lasse, mißverstand er die Fragestellung ebenso wie Sabine Peters, die beklagte, daß es nun die Schriftsteller sein sollen, die „den Karren aus dem Dreck ziehen“. konzepte- Mitarbeiter Norbert Kron verwies auf die Rap-Musik und südamerikanische Schriftsteller, deren Texte das politische Zeitgeschehen reflektierten und die auch hierzulande viel breiter rezipiert würden als die deutsche Gegenwartsliteratur. Das „Leiden“, das Jansen und Woelk als Hauptimpuls des Schreibens outeten, gehe in Deutschland allzu oft mit dem „Leid des Lesers“ Hand in Hand.

Während „politische“ Schriftsteller wie Heinrich Böll oder Erich Fried sich noch berufen fühlten, aus großen Zeitthemen wie Überwachungsstaat oder Terrorismus fiktive Texte zu basteln, müsse man heute auf den persönlichen Mikrokosmos und eine induktive Schreibmethode zurückgreifen, um einer komplexer und unübersichtlicher gewordenen Welt gerecht zu werden. Auf die eigene Beobachtung, die vermeintlichen Kleinigkeiten, so der Ostdeutsche Jansen, komme es an, um die Konsequenzen und die innere Zerrissenheit der ehemaligen DDR-Bürger nach dem Mauerfall darstellen zu können. Und wie bereits die erste Gesprächsrunde landete auch die letzte beim derzeitigen und künftigen Hauptfeind der Sprachkultur, dem Fernsehen und den neuen Medien: Beavis und Butthead, jene beiden MTV-Comicfiguren mit einer arg beschränkten Sprache, seien das Menetekel für künftige Generationen, dem habe man sich zu stellen, um wenigstens im kleinen etwas zu bewegen.

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