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Warnsignal an die serbischen Belagerer

Für die Durchsetzung des Flugverbots über Bosnien gab es auch in der Vergangenheit Anlässe genug. Der gestrige Abschuß serbischer Flugzeuge durch die Nato dürfte die bosnischen Serben nicht unbeeindruckt lassen.

Warum gerade jetzt?“ Nachdem ein griechischer Offizier in Athen gestern morgen um kurz vor neun die internationale Öffentlichkeit über den zwei Stunden zuvor erfolgten Abschuß serbischer Kampfflugzeuge durch zwei Kampfflugzeuge der Nato in der Nähe der nordbosnischen Stadt Banja Luka informiert hatte, wurde diese Frage überall gestellt und zunächst nirgendwo überzeugend beantwortet.

Ob im Zagreber Hauptquartier der Unprofor, im Genfer UNO- Palast – seit 18 Monaten Schauplatz erfolgloser Bosnien-Verhandlungen – oder auch in der Brüsseler Nato-Zentrale selber: Für ähnliche Maßnahmen hätte es zahlreiche Anlässe gegeben, seit der UNO-Sicherheitsrat am 31. März vergangenen Jahres alle UNO-Mitglieder (und damit auch die Nato als „regionalen Zusammenschluß“) dazu autorisierte, das bereits am 9. Oktober 1992 verhängte militärische Flugverbot über Bosnien-Herzegowina „mit allen notwendigen Mitteln“ durchzusetzen. Nach Informationen von Nato und Unprofor setzten die bosnischen Serben seitdem mehrfach zumindest Kampfhubschrauber ein – zuletzt Mitte Februar bei den (anhaltenden) heftigen Angriffen gegen die nordwestliche Muslimenklave Bihać.

Die gestrige Erklärung der Nato, noch niemals in den letzten elf Monaten seien serbische Kampfflugzeuge so wie am frühen Montag morgen im Formationsflug aufgetreten und hätten gemeinsam Bodenziele bombardiert, mag zwar zutreffen. Im Text der Sicherheitsratsresolution 816 vom 31.März 1993 ist allerdings von einem vollständigen Flugverbot die Rede, ohne irgendwelche Einschränkungen. Eine Grund für den Einsatzbefehl an die US-amerikanischen Piloten der beiden F-16- Maschinen könnte das Ziel gewesen sein, das die sechs „Galeb“- Flugzeuge der Serben bombardierten und laut ersten Berichten zumindest teilweise zerstörten: die Munitionsfabrik „Bratzvo“ (Bruderschaft) in der nordwestbosnischen Stadt Novi Travnik. In der Fabrik wird Nachschub für die bosnische Regierungsarmee produziert, die die Stadt kontrolliert. Möglich ist aber auch, daß der Abschuß ein Warnsignal gegenüber den bosnischen Serben sein sollte.

Dafür gäbe es verschiedene mögliche Motive. Einmal die sich verhärtende Haltung der bosnisch- serbischen Militärführung in Sarajevo. Nach der Beendigung der unmittelbaren Belagerung der bosnischen Hauptstadt durch serbische Geschütze in Folge der Nato-Drohung mit Luftangriffen hatte die Unprofor am Sonntag die Wiederaufnahme der Straßen-Hilfstransporte nach Sarajevo angekündigt. Die bosnisch-serbische Militärführung drohte, dies notfalls mit Gewalt zu verhindern.

Denkbar ist auch, daß die Nato ihre Entschlossenheit demonstrieren wollte, die für den 7. März angekündigte Öffnung des Flughafens Tuzla und seine Nutzung für Hilfsflüge auch umzusetzen. Auf Testlandungen von Unprofor- Flugzeugen in Tuzla hatten die bosnischen Serben letzte Woche jedesmal mit Artilleriebeschuß der Landebahn reagiert.

Nicht auszuschließen ist auch, daß die Nato hofft, sie könne die bosnischen Serben mit dem Abschuß der vier Kampfflugzeuge zur Einstellung der schweren Angriffe auf Maglaj und Bihać bewegen. Schließlich könnte es vor allem Washington darum gegangen sein, nach den Querelen über die Frage von Luftangriffen auf schwere Waffen bei Sarajevo einmal die Reaktion Moskaus auf eine militärische Maßnahme der Nato zu testen. Bezüglich der drei Sicherheitsresolutionen zum Thema Flugverbot (781, 786 und 816), denen Rußland seinerzeit sämtlich zustimmte, gibt es nicht die unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten wie bei der Resolution 836 zu Luftangriffen. Vorausgesetzt, die von der Nato verbreitete Darstellung des gestrigen Zwischenfalls stimmt, dürfte die Regierung Jelzin sich auch nicht im nachhinein vom Abschuß der serbischen Flugzeuge distanzieren.

Welche längerfristigen Folgen dieser erste Militäreinsatz der Nato im Bosnienkonflikt für die humanitären Maßnahmen und die Bemühungen um eine politische Lösung haben wird, war am Montag noch nicht absehbar. Das Genfer UNO-Flüchtlingshochkommissariat und die Unprofor stoppten zunächst einmal alle Hilfsflüge nach Sarajevo sowie Landtransporte, die durch serbisch besetzte Gebiete Bosniens führen sollten. Eine Delegation von Genfer UNO- und EU-Diplomaten, die gestern zu Verhandlungen im kroatisch-serbischen Konflikt um die Krajina nach Zagreb und Knin fliegen wollte, verschob ihren Abflug zunächst auf unbestimmte Zeit.

Das wiederum könnte negative Auswirkungen auf die bis gestern in Washington laufenden Verhandlungen zwischen Kroatiens Außenminister Granić, Bosniens Premierminister Silajdžić und Vertretern der bosnischen Kroaten über einen gemeinsamen kroatisch-muslimischen Staat auf mindestens 51 Prozent der Fläche des heutigen Bosnien-Herzegowina haben. Denn die Regierung Tudjman macht ihre endgültige Zustimmung zu einem solchen Modell von der parallelen Wiederherstellung ihrer vollen Autorität über die Krajina und alle anderen derzeit von serbischen Truppen besetzten Gebiete Kroatiens abhängig.

US-Präsident Bill Clinton hat am Montag den Nato-Schlag verteidigt. Nach den bislang vorliegenden Informationen seien von den amerikanischen Nato-Piloten vor dem Abschuß zwei Warnungen abgegeben worden, zu landen, sagte Clinton in einer ersten Stellungnahme in Washington. Bei der Verletzung der Flugverbotszone durch Militärflugzeuge habe es sich um eine „ernste Drohung“ gehandelt, da „diese eine viel größere Möglichkeit haben, an militärischen Vorhaben von der Luft aus teilzunehmen“, sagte Clinton auf eine Frage nach dem Grund für einen Abschuß zum jetzigen Zeitpunkt. Andreas Zumach, Genf

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