: Widerspenstige Petruschkas
■ Ein einziges Experiment: Die Überlebensstrategie des Theaters „Puppenhaus“ aus St. Petersburg, derzeit auf Bremen-Tournee
Anderthalb Jahre ist es her, da gründete ein kleines Grüppchen russischer SchauspielerInnen und KünstlerInnen das „erste private Sankt Petersburger Puppentheater“. Das war damals ein mutiges Experiment, sagen die Beteiligten. Bis heute hat sich daran kaum etwas geändert. Na ja, überlebt haben sie, die jungen Theaterleute von 19 bis 39. Und haben dem ersten großen Schritt so einige neue waghalsige Ideen noch aufgesetzt. Die allerjüngste: die erste gemeinsame Reise im klapprigen Autobus ins Ausland, nach Bremen.
Was das Theater Puppenhaus hier in den Bürgerhäusern und auf den Theaterbühnen Bremens und Umzu in herrlich gebrochenem Deutsch seinem Publikum präsentiert, das ist humoriges und spannendes Figurentheater: Kytsyk und Mytsyk heißt die neueste Produktion der Gruppe, eine Katz-und-Maus-Allegorie mit der Mär von friedvoller Freundschaft. Ein Stück für Kinder – und für Erwachsene, und da geht es auch schon los mit der Widerspenstigkeit im Puppenhaus. Unkonventionelles Theater für die gesamte Familie wollen sie machen, und das paßt halt so gar nicht in das Konzept des staatlichen Puppentheaters in St. Petersburg. Dort haben einige SchauspielerInnen vom Puppenhaus vormals gearbeitet, dort waren sie jedoch in letzter Zeit sehr unzufrieden gewesen, denn dort will man unter keinen Umständen von den Kindern und der alten Petruschka („dem russischen Kasperle“) lassen.
„Wir dagegen hatten außerdem ein richtiges Marionettentheater im Kopf“, erzählt Natalya Dikanskaya. Die Truppe fand sich und dazu einen eigenen Theaterdirektor. Andrei Kuznetsov. 27 Jahre jung, schießt bis heute die nötigen Rubel vor („Er gibt uns Geld, wie wenn er sich ein neues Auto oder ein Badezimmer kaufen würde“) und zahlt dem Ensemble ein halbwegs erträgliches Gehalt; doch in der Praxis, da arbeitet das Puppenhaus kollektiv und autonom. Freiheit ist für sie alle ein Zauberwort.
Damit trotzen sie den immensen finanziellen Problemen. Wegen der hohen Bühnenmieten in St. Petersburg können sie sich gerade mal zwei Auftritte im Monat leisten. Und vom Publikum, von dem können sie sich ihr Geld doch erst recht nicht nehmen. „Die Leute müssen sich ja wirklich zwischen Lebensmitteln und Theaterkarten entscheiden.“
„Wir träumen von einem eigenen Amphitheater“, schmunzelt Nataya Dikaskaya und berichtet von neuen Aktivitäten. Im Februar organisierte das Puppenhaus ein erstes internationales Puppentheaterfestival. Man übt sich fleißig in Sponsoring-Gehversuchen und denkt sich neue Geldquellen aus. Puppen- und Marionettenwork-shops in eigener Werkstatt etwa, wo auch die Puppen und Stücke des Ensembles entstehen. Kytsyk und Mytsyk, Katze und Maus, sind zwei knapp einen Meter große Holzfiguren, unheimlich beweglich und mit riesigen, rollenden Augen.
Wenn diese dann bei der Vorstellung aus den Schubladen und den Seitentüren der alten Schrankwand, dem Bühnenbild, hervorlugen und mit der Live-Darstellerin Tante Marina in Clinch geraten, dann sind auch die Akteure plötzlich für alle sichtbar. „Wir verstecken uns nie.“ Ein weiteres Puppenhaus-Experiment. Silvia Plahl
Das Puppenhaus spielt heute im Ohlenhof, Beim Ohlenhof 10, 10 Uhr, und im Bürgerhaus Neue Vahr, Berliner Freiheit 10, 15 Uhr
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