Bedeutende musikdramatische Werke

Wie die Stadt Dessau sich um die Heimholung ihres verlorenen Sohnes Kurt Weill bemüht: Heute beginnt dort erstmals ein Kurt-Weill-Fest. Innenpolitisch erhoffte Strahlkraft und neue Kultur für neue Zeiten?  ■ Von Clemens Schwender

„Und der Haifisch, der hat Zähne...“ – fällt jedem gleich ein, wenn es um Kurt Weill geht. Oder gilt die Assoziation doch eher dem Texter, Bertolt Brecht? Ganz aus dessen Schatten ist Weill nämlich nie herausgekommen, auch wenn die Zusammenarbeit nur vier Jahre währte. Kurt Weill – hierzulande nach wie vor eine Angelegenheit für Insider, frei nach dem Motto „...die im Dunkeln sieht man nicht“.

Ein bißchen aus dem dunkeln rausholen will Weill jetzt Dessau, die Stadt, in der er am 2. März 1900 zur Welt kam. Eine Kurt-Weill- Gesellschaft wurde im letzten Jahr gegründet; in diesem findet ein regelrechtes und auch so genanntes Kurt-Weill-Fest statt: von heute an bis zum Wochenende, mit allerhand Rückgriffen, seltenen Aufführungen und anderen Memorabilia.

Die Dessauer (Kultur-)Politiker sind mittlerweile nämlich stolz auf ihren Sohn. Man reklamiert ihn als Attraktion, als fortschrittlichen, internationalen Geist. Anknüpfen möchte man an den Pioniergeist der zwanziger Jahre. Dessau, sollen die Leute sagen, das ist Bauhaus (auch wenn es die Architektengruppe um Walter Gropius damals eher zufällig von Weimar nach Dessau verschlug); und Dessau, das ist nun eben auch Kurt Weill.

Von wegen Pioniergeist: Am 20. Mai 1927 erregte ein Ereignis von Weltbedeutung nicht nur die Dessauer – mit denen es aber, wie sich noch herausstellen wird, über den Namen Kurt Weill in Verbindung steht. Charles Lindbergh machte sich zu dem waghalsigen Unternehmen auf, als erster den Atlantik nonstop im Flugzeug zu überqueren. Im Dessauer Flugzeugwerk Junkers verfolgte man den Flug besonders aufmerksam. Man arbeitete dort nämlich gerade an der Junkers W-33, dem Nachfolgemodell des ersten Ganzmetallflugzeugs. Ein Jahr nach Lindberghs geglücktem Versuch sollten drei Maschinen in Dessau zur ersten Atlantiküberquerung starten – in Westrichtung.

Bertolt Brecht wiederum war besonders angetan von all diesen Pioniertaten. Am 23. Juli 1929 erregte seine Fassung des „Lindbergh-Flugs“ bei den Badener Festtagen für Musik großes Aufsehen. Es war der Dessauer Kurt Weill, der für die Vertonung sorgte, ein Mann, der sein Talent für sowohl eingängige als auch anspruchsvolle Vertonungen schon mit der „Dreigroschenoper“ unter Beweis gestellt hatte.

Beim Lindbergh-Flug steht nicht die simple Beschreibung der Atlantiküberquerung im Vordergrund, sondern, ganz brechtisch, ein Versuch, ein pädagogisches, gemeinschaftstiftendes „Experiment“, ausgerichtet vor dem Hintergrund der (damals) modernsten Technologie: der Fliegerei und des Rundfunks. Das Neue in der Form: Die Rolle des Fliegers übernimmt der Hörer. Brecht war bekanntlich – wie auch Weill – Rundfunkfan. Beide waren sie angetan von der Idee, neue Konsumenten zu erreichen, Hörer jenseits literarischer Expertenrunden und Feuilleton- Spalten.

Ein bißchen hat dieses Konzept auch beim Programm der Dessauer Weill-Woche Pate gestanden. Unter dem Motto „Die Stadt als Festraum“ sollen die Bewohner rundum mit einbezogen werden. Jugendzentren, das Landestheater, Räume und Cafeteria des Bauhauses, die St.-Paulus-Kirche, die Junkers-Werke – alle sind mit von der Partie.

StudentInnen der TU Berlin präsentieren Multimediales: Der Lindbergh-Flug als Computer- Spiel, obendrein eine Rap-Version des Textes. Auch die Aufführungszeiten sind, zumindest teilweise, verbraucherfreundlich: Vorträge über Weills Erfahrungen in seiner Wahlheimat Amerika finden sonntags zur Frühstückszeit statt. Im Mittelpunkt der Festivitäten, die bis zum 6. März dauern, steht aber eindeutig der „Lindbergh- Flug“. Die „Radiokantate“ mit Chor und Orchester kommt gewissermaßen am historischen Ort zur Aufführung, nämlich im rekonstruierten Festsaal der Junkers- Werke. Offenbar meinte man, so dem historischen Auftrag des Stücks am schönsten gerecht zu werden – „Hier ist der Apparat – steig ein!“ fordert es den Hörer auf.

Das alles kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die späte Aneignung Weills kein leichtes Stück Arbeit ist. „Show me the way to the next Whiskey Bar, oh don't ask why“ sang man zwar oft und gerne auch in der DDR, doch in dem Land, das Brecht zum National-Dichter erwählte, war Weill insgesamt nie so recht gelitten. Zwar gibt es in Dessau seit längerem ein Brecht-Denkmal, aber für Weill blieb in der (übrigens weltweit einzigen) Kurt-Weill-Straße nur eine Tafel, auf der es heißt: „Kurt Weill schuf in Zusammenarbeit mit B. Brecht bedeutende musikdramatische Werke.“

Nicht einmal in der Heimatstadt also kam Weill über das Co-Starring hinaus; woran auch die geplante Umbenennung des Gymnasiums in „Kurt-Weill-Gymnasium“ nichts änderte – es fand sich dann doch keine Mehrheit dafür. Nicht mal eine Mahagonny-Bar oder ein Dreigroschen-Restaurant gibt es. Der tiefere Grund: Die DDR-Kulturhüter konnten es Weill nie verzeihen, daß er nach dem Krieg beim „Klassenfeind“ in den Vereinigten Staaten blieb und eben nicht, wie Brecht, in den Arbeiter-und-Bauern-Staat zurückkehrte.

Aber auch von der Musik selbst her war Weill den Kulturoberen nicht ganz geheuer, verfolgte er doch seine Vorstellung einer zugänglichen Musikform konsequent und mit Eigensinn. Nicht umsonst reklamiert die Musical-Geschichtsschreibung ihn heute als einen der ihren. Am Broadway und in Hollywood hochgeschätzt, war das Musical in der DDR eben offiziell ein bürgerlich-dekadentes Relikt – kaum kompatibel mit den Erfordernissen des sozialistischen Realismus. Der Bitterfelder Weg wies die Kunst in eine ganz andere Richtung – ein Holzweg, wie sich herausstellen sollte, aber eben erst viel später.

Heute, nach der „Wende“, sieht man die Sache naturgemäß anders. Es wird eifrig entstaubt und wiederentdeckt – schon um des lieben

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Tourismus willen. Schließlich wird man in der Luther-Stadt Wittenberg ja auch schon im Bahnhof auf den großen Sohn der Stadt aufmerksam gemacht; was Goethe und Schiller für Weimar leisten, ist ja hinlänglich bekannt. Rheinsberg in Brandenburg hat Tucholsky, Ernstthal in Sachsen seinen Karl May – auch wenn nicht so recht klar ist, was der schwule Erfinder der Blutsbrüder Winnetou und Old Shatterhand zu seiner geistigen Wiedereinbürgerung gesagt hätte.

So hat nun auch Dessau endlich seinen Weill wieder, und das, obwohl einiges dafür spricht, daß der die Idee nicht so prächtig gefunden hätte. Weill fühlte sich seit seiner Emigration 1935 als Amerikaner. Mit mancherlei Konsequenz: Als Brecht – wie Weill nach Amerika emigriert – 1942 brieflich anfragte, ob Weill eine „Negro-Fassung“ der „Dreigroschenoper“ erlaube, verweigerte der sein Einverständnis; vielleicht fürchtete er, eine Aufführung in Los Angeles schade seinem Antrag auf Einbürgerung. Die Ablehnung schrieb er jedenfalls auf englisch. Die Begründung Brecht gegenüber: „It's easier for me and I like it better.“

Weill kam zwar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch einmal nach Europa, doch um die beiden Deutschlands machte er einen ansehnlichen Bogen. „Wenn man mich ans Ende der Welt bringen würde, hätte ich kein Heimweh nach Berlin, Dessau oder Lüdenscheid, ich hätte Heimweh nach einem Laden in New City“, gestand er, allerdings 1944, einem Journalisten vom New Yorker. Von Heimatliebe also keine Spur. Doch wer fragt schon nach dem Willen von Toten? Dessau sucht seine Chancen und Potentiale in der neuen Zeit, und die fragt nun mal nach Namen.

Und doch: Mit dem Erben ist es immer so eine Sache – vor allem, wenn es was zu holen gibt. Die New Yorker Kurt Weill Foundation, die den Nachlaß verwaltet, beäugte die Dessauer Gründung eines Weill-Zentrums zunächst recht mißtrauisch. Ganz und gar nicht angetan war man von der Idee, daß eine andere Stadt den werbeträchtigen Namen im Briefkopf trägt. Erst nach reichlichem Zögern fiel die Entscheidung über die Art des Umgangs: herzliches Willkommen und eine freundliche Umarmung. Wie wird man einen Konkurrenten los? Indem man ihn zum Verbündeten macht. Man beschloß kurzerhand, daß sich die Dessauer in Zukunft um die deutschen, die New Yorker um die amerikanischen Erbschaftsangelegenheiten kümmern sollten, und reich beschenkt mit Erinnerungsstücken zogen die Dessauer nach Hause.

Und nicht nur das: Die Amerikaner beteiligten sich mit einer großzügigen Spende an der Dessauer Festwoche und sind sogar persönlich mit dabei: Lys Simonette, die Vizepräsidentin der Weill Foundation, wird über ihre Arbeit mit dem Komponisten berichten und dabei auch auf das Verhältnis Brecht-Weill eingehen.

Ende gut, alles gut also? Dessau tut was für seinen Ruf als Kulturstadt, und gerne weist Wolfgang Laczny, Präsident der Kurt-Weill- Gesellschaft, auch auf die zahlreichen Schlösser und Gärten in Dessau, um Dessau und um Dessau herum hin – neue Kultur für neue Zeiten.

Bleibt nur zu hoffen, daß das Festival auch die innenpolitisch erhoffte Strahlkraft mit sich bringt, frei nach der Devise „Blue Moon of Sachsen-Anhalt, we now must say hello...“

Kurt-Weill-Fest 94, vom 2. bis 6. März.

Nähere Informationen zum Programm unter 0340/214661.