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Sehnsucht nach dem Mißlingen

Unfertige Geschöpfe, Wesen im Nebelstadium: Die Comics des Berliner Zeichners OL berichten vom entfremdeten Lebenszwangsvollzug  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Alle zwei Wochen, wenn der Dienstagabend lärmend sein fortgeschrittenes Alter verleugnen will, kommt eine Frau an die Tische des „Schokoladens“, Bezirk Mitte in Berlin. Mit schweren Packen von Zeitungen, die ihr die Gäste entreißen. Dann wird es still im Stammsitz verdienstvoller Nachwende-Ostfanzines wie WartsUp oder Renate, und man hört es nur geschäftig rascheln, das Bier wird schal, und die Zigaretten verglimmen vergeßlich, bis daß das Gesuchte gefunden ist: kleine Bilder mit Menschen mit Stricharmen und -beinen und dreieckigen Körpern am Rande des Berliner Stadtmagazins zitty, deren Autor (oder wie man bei Zeichnungen auch immer sagen mag) sich hinter dem einprägsamen Kürzel „OL“ verbirgt. Mit viel warmherzigen Pünktchen, kompromißlosen Strichen, wehmütigen Flächen, zuweilen auch bunt, erzählt er Geschichten aus dem glücklich mißlingenden Leben. Schüchtern, sehnsüchtig, oft auch recht trashig, seltener sinnlos schauen seine Figuren in die Kneipe, und die Gäste schauen zurück.

OL Schwarzbach findet man nur noch selten in seiner ehemaligen Stammkneipe, in der sich auch andere Zeichner wie Holger Fickelscherer Bier und Zigarettenrauch um die Ohren schlagen. Statt dessen sitzt er zu Hause und ist traurig darüber, daß er „nichts mehr“ hat, wo er begeistert hingehen könnte. Dafür kommen andere zu ihm: finstere, bösartige oder auch nur neugierige Journalisten. Seitdem seine Sachen („Sachen von OL“) vor sechs Wochen in Buchform erschienen sind, ist der 28jährige ein Berliner Star. Allzu wohl ist ihm nicht dabei. Besonders gerne läßt sich der nachdenkliche Künstler nicht interviewen.

So stellt er erstmal einen Kassettenrekorder neben den Tisch, aus dem Heavy Metal und andere Klänge herauskommen. Ab und an kommt auch ein kleines Mädchen vorbei und verschenkt Schokolade. An der Wand hängen Worte, die OL Schwarzbach als Melancholiker ausweisen. Da blickt man immer wieder sehnsüchtig hin. Denn dort steht „Klub der Fröhlichen und Findigen“, und da wär' man auch gerne mit dabei. (Irgendwie, wenn ich mich richtig erinnere, denn OL ist ein freundlicher Gastgeber und stellt immer wieder ein nachmittägliches „Berliner Pilsener“ auf den Tisch, gab es diesen Klub im Rahmen der FDJ wirklich.) Er trinkt „Kindl“ – da ist weniger Alkohol drin. Das hat er sich wohl in Brighton angewöhnt, wo er ein Jahr lang lebte. „Ein Kasten Bier ist Lebenskultur und gibt Sicherheit“, sagt OL, steht zwischen den Sätzen und Pausen manchmal auf und holt aus einem anderen Zimmer alte Zeichnungen. Frühwerk des Begabten, das war noch vor seiner Strichphase. Da waren die Helden des gelernten Grafikdruckers noch dicker und hatten andere Körper und verhehlten Crumb als Vorbild nicht. 1988 war OL noch ganz unverkennbar der Held seiner Geschichten und verwandelte sich in „Super-OL“ und abenteuerte mit seinem Freund „PE“ durch die umnachtete DDR. „Heute lacht man drüber – früher hätte man dafür in den Knast kommen können“, erzählt OL, und daß er „nur abgeguckt“ hätte damals, „die ganze Zeit“. Schwarzweiß-Fotos liegen auf dem Tisch. So als sei es schon recht lange her, radelt OL da wirklich im engen „Super-OL“- Kostüm durch Potsdam oder steht gut gelaunt trinkend auf einer Comic-Ausstellung in der Wohnung eines Freundes.

Doch danach gab's Probleme. Die Wohnung des Freundes wurde durchsucht. „Wir gingen dann erstmal zu Gysi, doch der wollte damit nichts zu tun haben. Dann war ich bei de Maizière. Der hat sich die Comics angeguckt und gesagt: ,Anderthalb bis drei Jahre wegen Herabwürdigung der Staatsmacht und unerlaubter Vervielfältigung.‘ Na ja, dann haben sie ein paar andere Leute ,zugeführt‘ und ausgequetscht. Weil ich auch noch den Wehrdienst verweigern wollte, hab ich totales Muffensausen gekriegt und bin im Juli abgehauen.“ Über Sofia nach Budapest, eine Zeitlang in Österreich, anderthalb Jahre in München. Zurück in Berlin, hatte er schnell „die Schnauze voll gehabt“, ging nach Brighton und ist seit Januar 1994 wieder hier.

Seit Ende 1990 verdient er Geld mit seiner Arbeit. Die ersten Zeichnungen erschienen bei Kowalski, „irgendwann hab ich mal einen dritten Preis bei einem Comic-Wettbewerb von zitty gewonnen, irgendwann hab ich mal ein Stipendium gekriegt. Was ich langsam mitkrieg, ist, daß das wirklich ein Geschäft ist. Da hat jemand den Fuß in der Tür von einer Zeitschrift oder so und bemüht sich keinen anderen mehr da reinzulassen.“ Wie im Hochkunst-Betrieb, so achten auch Comic-Zeichner darauf, angestammte Reviere und Plätze vor etwaigen Konkurrenten zu beschützen. „Diese ganze Cliquenwirtschaft kotzt mich an“, meint OL, der sich keiner Szene zugehörig fühlt und es verabscheut, mit Zeichnerkollegen immer nur über Comics zu reden, genauso wie das „arrogante Pack, das sich so furchtbar wichtig nimmt“ und mittlerweile die Kneipen am Kollwitzplatz im Prenzlauer Berg bevölkert, die Szenen, die sich in ihrem „Wir“ gefallen und die immer noch beliebten Ost-West- Etikettierungen. An Kollegen schätzt OL vor allem die Comics von Callaghan und Rattelschneck. „Auch Phil find ich ganz gut, auch wenn ich gehört habe, daß er mich Scheiße findet.“

Figuren, die in seinen Comics plötzlich nach exzessivem Alkoholkonsum kotzen, sind sein Markenzeichen. „Das mach ich nur noch, weil ich weiß, daß es Leute gibt, die das mögen“, meint er, und irgendwie paßt das Kotzetikett, das man OL verpaßt hat, auch weder zu ihm noch zur seltsam melancholischen Atmosphäre seiner besten Geschichten, in denen keine klar konturierten Gestalten herrisch Genaues bedeuten, keine Ablachpointen für feistes Lachen sorgen, sondern eher „unfertige Geschöpfe, Wesen im Nebelstadium“ (Benjamin über Kafka), bucklige Männlein auf einsamen S-Bahnhöfen herumstehen oder in Irrenanstalten, Kinderheimen, trostlosen Kneipen oder Krankenbetten stets in Kinderschrift aus nie gelebtem Leben erzählen nach dem Muster des Stechers vom Rummelplatz: „Ich war der Stecher vom Rummelplatz“, erzählt ein Alter da in vielen Bildern seinen Enkeln, der nie in seinem Leben mehr als eine Frau hatte. Alles ist natürlich viel komplizierter, verwinkelter und seltsamer, und letztendlich ist es vielleicht auch nicht so wichtig zu wissen, daß vieles – wie das Kotzen als Leitmotiv – durchaus seine durchlittene Vorgeschichte hat. Denn schwer waren Kindheit und Jugend, „mit 15 hab ich angefangen zu trinken. Ich hab nur gesoffen. Irgendwann hab ich gemerkt, daß das Zeichnen auch eine Art Selbsttherapie war. Heute sauf ich nicht mehr soviel.“

Viele seiner Zeichnungen sind unglaublich komisch: Wenn ein Trinker am Imbiß aus seinem Leben als Stasi-OibE (Offizier im besonderen Einsatz) phantasiert – „Gröbert mein Name, genauer Major Gröbert. Ja, ich war dabei damals“; wenn Bernd „the Guitar“ auf der Bühne vor schreiend leeren Rängen begeistert seinen letzten Song ankündigt: „Also zum Schluß von dem Konzert spiel ich jetzt noch die andere Seite von meiner Single“; oder wenn ein strohdumpfer Neonazi-Idiot Sheriff Schultze wegen seines Sheriffsterns ein „Jude“ entgegenwirft.

Der Naziwitz, der auf einem zitty-Cover abgedruckt war, führte in Teilen Kreuzbergs zum Boykott des Heftes. Zeitungshändler weigerten sich, das Heft zu verkaufen, „weil sie Dresche angedroht“ bekommen hatten. Da hatten irgendwelche Antifas bloß das Wort „Jude“ gesehen, und das hatte ihnen schon gereicht. Im Stadtmagazin zitty wiederum erschien kurz darauf eine breite Diskussion darüber, ob man über Nazis auch lachen dürfe. Man darf, und vielleicht sollte man auch gerade über Dinge, die einem angst machen, Witze machen. Mit dem Comic- Zeichnen angefangen hatte OL, „weil ich keinen Bock hatte, rumzuquatschen oder rumzuhängen in Kneipen. Da hab ich dann halt zu Hause gesessen und Meins gemacht. Und dabei Radio gehört: Langwelle, politische Sendungen, Features, Hörspiele. So verbring ich meine Zeit. Ich hab das mal Max Goldt erzählt – der wußte gar nicht, daß es Langwelle gibt. Dann hat er eine ganze Nacht Langwelle gehört und war am nächsten Tag absolut begeistert.“

Wie seine Helden, so sucht OL in schüchterner Verzweiflung nach den Partikeln einer verlorenen Zeit. „Rosebud“, die Orson-Wellssche Madeleine aus „Citizen Kane“ also, die, wie mir ein Kollege verriet, auch als hübsches Geschlechtssymbol diene, wird gleich auf dem Eingangscover seines Buches desperat von einem verzweifelten „Sesamstraßen“-Bert eingeklagt, der „Ernie“ ein Loch in den Kopf schießt, das wen auch immer an die Ekstaseversuche diverser Haustanzveranstaltungen erinnern mag. Doch auch Erfüllung findet sich in dem von heißer Sehnsucht getragenen Werk: In einer Zeichnung brechen die Mainzelmännchen aus und verlassen den ZDF-Knast – ein gelungenes Symbol entfremdeten Lebenszwangsvollzugs –, um woanders ein besseres Leben zu finden.

Wie alle großen Künstler steht OL seinem Werk durchaus kritisch gegenüber. Viele seiner alten Sachen findet er inzwischen „Scheiße“, „soviel wie Reiser [französischer Zeichner, d.A.] hab ich nicht im Kopf“, und „mittlerweile ist das ja auch völlig durchdesignt bei mir. Manchmal fang ich schon an, mich zu wiederholen, und ich will nicht wie Seyfried irgendwann mal nur noch alte Sachen auslutschen.“ Vielleicht wird er – zum Entsetzen seiner Fangemeinde – den Stil wechseln, womöglich schon im geplanten zweiten Band mit Sachen von OL. Zunächst gibt es jedoch zum nächsten Bier Königsberger Klopse: „Kannst mitessen, wenn du willst.“

„Sachen von OL“, Jochen Enterprises, Gesellschaft zur Förderung intelligenter Unterhaltung, 9,95 DM.

Ausstellung „Potsdamer Polonaise“, Galerie im Staudenhof, Potsdam, Am alten Markt 10, noch bis zum 21. März.

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