■ Zur Psychologie der EU-Beitrittsverhandlungen
: Wenn das Volk im Nacken sitzt...

Das Spannendste an den Beitrittsverhandlungen der EU-Außenminister mit Österreich, Finnland, Schweden und Norwegen war die spürbare Rücksichtnahme auf die bevorstehenden Volksabstimmungen. Wann sonst müssen die Minister, wenn sie von ihrer heimischen Funktion als Teil der Exekutive in ihre Brüsseler Rolle als Teil der Legislative mutiert sind, auf die Stimmung im gemeinen Volk achten! Viele Beschlüsse werden ja gerade deshalb nach Brüssel überwiesen, weil sich dort die Regierungen viel entspannter für Lösungen einsetzen können, bei denen sie im heimatlichen Parlament leicht eine aufs Dach bekämen.

Das war bei den Erweiterungsverhandlungen ganz anders. Da waren die österreichische, die schwedische, die finnische und die norwegische Bevölkerung immer irgendwie mit am Tisch. Wann immer die EU- Außenminister auf die Spielregeln des Binnenmarktes und die Errungenschaften der Union verwiesen, hob einer aus der Beitrittsdelegation den Finger und erinnerte an die bevorstehende Volksabstimmung.

Für die Schweden wurde deshalb eigens der Dünnbesiedelten-Fonds erfunden, aus dem Gebiete mit weniger als acht Einwohnern pro Quadratkilometer gefördert werden. Schweden wäre sonst blanker Nettozahler ohne nennenswerte Rückflüsse aus der Brüsseler Kasse und hätte beim Referendum kaum eine Chance gehabt. Finnland bekam Zuschüsse für die arktische Landwirtschaft, für die sich andere Landwirte gern ein bißchen mehr Winter gönnen würden. Und Österreich setzte die volle Laufzeit des Transitabkommens durch. Denn die Einschränkung, daß im Jahr 2001 von der Kommission überprüft wird, ob es für die letzten drei Jahre des Abkommens andere Wege der Schadstoffbelastung gebe, darf als bloßer Versuch der EU-Außenminister gesehen werden, das Gesicht zu wahren. 60 Prozent Schadstoffentlastung lassen sich auch in sieben Jahren noch nicht durch gutes Zureden der Brummi-Hersteller erreichen. Aber irgend etwas mußten die Minister an der österreichischen Forderung abstreichen, sonst hätten sie 40 Stunden umsonst blockiert.

Ein Sieg der Vernunft über die Sturheit? Ein bißchen, aber nicht viel mehr. Das Transitabkommen ist ein Steinchen im Beitrittsvertrag, ebenso der Fonds für dünn besiedelte Gebiete im Norden. Daneben wurde viel ausgehandelt, was erst in den nächsten Wochen im Detail vorliegen wird. Das meiste ist nichts anderes als die Fortschreibung der EU-Regeln, von denen die meisten zwar unter Beteiligung diverser Industrielobbies erarbeitet wurden, die wenigsten aber unter den Augen der Öffentlichkeit. Aber es ist schön zu sehen, was rauskommen könnte, wenn die 12 Regierungen bei ihren Gesetzgebungsakten in Brüssel mehr auf die Wähler schielen müßten. Alois Berger, Brüssel