■ Frankfurter Staatsakt für Spielbergs „Schindlers Liste“: Der Widerspenstigen Führung
Ein Film wird zum Staatsakt: Zunächst hatte der amerikanische Präsident Bill Clinton, überwältigt nach der Premiere, seine Landsleute aufgefordert, Steven Spielbergs „Schindlers Liste“ nicht zu versäumen: „Go see it!“
Fast alle wichtigen Blätter des Landes hatten diesen Film in höchsten Tönen gelobt. Nun stellte der Regisseur seinen Film in Europa vor; in Österreich sprach er mit Vranitzky, in Frankreich mit Mitterrand, und nun, in Deutschland – natürlich nicht mit Helmut Kohl, der aus Termingründen absagte, sondern mit Richard von Weizsäcker, der die Schirmherrschaft für die Frankfurter Benefizgala mit großem Bahnhof übernommen hatte. Ist daran irgend etwas nicht in Ordnung?
Wenn es um Holocaust-Ikonographie geht, kann man inzwischen getrost von zwei Lagern sprechen; Wäre man bösartig, könnte man sie die „Aristokraten“ und die „Sozialdemokraten“ nennen. Die Aristokraten wollen eine ästhetische Umkreisung der Shoah um jeden Preis: Gerade die Szene in „Schindlers Liste“, in der Frauen im Duschraum stehen, und es fließt Wasser aus der Dusche, ist ihnen eine Obszönität. Claude Lanzmann, dessen „Shoah“ die Maßstäbe setzte, besteht darauf, daß ein Film über die Shoah nur ein Film über den Tod sein kann; er nennt Beschreibungen individuellen Entronnenseins „Anekdoten“. In seinem Film, so Lanzmann, gäbe es kein Ich, sondern nur ein Wir; verzweifelt würden die Überlebenden das Schweigen der Toten zu übermitteln suchen.
Den Sozialdemokraten hingegen geht es hauptsächlich darum, wen man erreichen kann. Heute, wo abzusehen ist, daß es bald keine Überlebenden, dafür aber immer mehr Revisionisten geben wird, heute, wo bereits vierzig Prozent der Amerikaner entweder nicht wissen oder bezweifeln, daß es einen Holocaust gegeben hat, kann man keine Zeit verlieren mit „Umkreisungen“.
Wo die amerikanische Soap-opera „Holocaust“ recht war, ist ein Spielberg natürlich billig: Wer, wenn nicht der Herrscher über Vorzeit und Weltall, Kindheit und Wilden Westen, der bislang den Triumph des stets Benignen feierte, sollte ein widerspenstiges Publikum in den absoluten Terror führen?
„Schindlers Liste“ hätte das Zeug, die beiden Lager zu einen: mit absoluter Intelligenz, traumwandlerischer (Geschmacks-)Sicherheit und eben dem bekannten Händchen für – jawohl! – Suspense und das kleine Licht, das im Dunkeln leuchtet, vereint Spielberg Zurückhaltung mit Untröstlichkeit. In Millionen von Kinosesseln werden Deutsche, Franzosen, Amerikaner, Überlebende, Kinder von Mördern und Ahnungslose nebeneinander sitzen und heulen. Was bleibt ist nämlich, entgegen allen Unkenrufen, nicht der Trost durch den einen Gerechten: Spielberg zeigt zwar die Ausnahme Oskar Schindler, aber nur um die gnadenlose Regel Amon Göth zu bestätigen. Nie werde ich vergessen, wie Spielbergs Göth am frühen Morgen, nach einer Nacht mit seiner polnischen Geliebten, halbnackt auf dem Balkon steht und völlig wahllos einzelne Zwangsarbeiter abknallt. Zack! Eine Hinkende. Zack! Ein zu Langsamer. Der Film wird keine Wunder bewirken, keine Antisemiten bekehren. Aber wenn er wirklich zu einem Staatsakt würde! Mariam Niroumand
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