: Gleichgültige Konfliktscheu
■ Irgendwie anachronistisch: Die Treffen junger Literaten im Brecht-Zentrum
„Die sogenannte junge deutsche Literatur ist in der Diskussion“, heißt es hoffnungsfroh in der Ankündigung, und: „Nachdenklichkeit angesichts sehr unterschiedlicher Herangehensweisen an Literatur und Gesellschaft in beiden ehemaligen deutschen Staaten ist selten zu entdecken.“ Die solcherart vermißte „Nachdenklichkeit“ zu befördern haben sich die Dichterin Kerstin Hensel und der Literaturwissenschaftler Ludger Bült vorgenommen. In dreizehn Veranstaltungen unter dem Motto „Von den Nachgeborenen... Junge deutsche Literatur im Gespräch“ präsentieren sie 26 ost- und westdeutsche Autoren – jeweils paarweise an drei Abenden in der Woche im Brecht-Zentrum.
Das Konzept ist einfach: Jenseits aufgesetzter Literatenstreits befragt Kerstin Hensel „junge“ AutorInnen (die es ja nun einmal gibt, auch wenn es beliebt ist, ihre Literatur totzusagen) zum lebensgeschichtlichen Bruch, den die Wiedervereinigung ihnen bedeuten mag, zu Lese- und Schreib-Erfahrungen, zu ihren Werken oder ganz emphatisch allgemein zu Dichtung und Leben. Und dann lesen die Dichter aus ihren neuen Werken. Doch schon der Brecht entlehnte Titel wirkt etwas anachronistisch – so als sei die entscheidende Erfahrung, auf die sich „junge“ Literatur bezöge, immer noch die des Nationalsozialismus.
Wenn man sich die Liste der Dichter anschaut, fällt zudem auf, wer fehlt: zum Beispiel Emine Özdamar, die in Berlin lebende Türkin und Bachmannpreisträgerin von 1992, die mit „Das Leben ist eine Karawanserei...“ den wohl wichtigsten deutschsprachigen Roman der letzten Jahre geschrieben hatte, oder Durs Grünbein, der kluge Essayist und Dichter, und der lustig-renitente Peter Wawerzinek oder der erfolgreich-rebellische Rainald Goetz – um nur einige zu nennen.
Statt dessen geben andere – meist Stipendiaten oder Träger diverser Literaturpreise – Auskunft über Werk und Sein: Wildenhain, Lange-Müller, Leupold, Jansen, Bartsch, von Petersdorff, Papenfuß-Gorek, Kolbe, Lehr und wie sie alle heißen, die in den Abschreibeprojekten der großen Verlage oder den bibliophilen Ausgaben der kleineren veröffentlichen.
Ganz in echt und im Durchschnitt auf die 40 zugehend, saßen bislang sechs von ihnen auf dem grell beleuchteten Podium: Michael Wildenhain kam mit Joggingschuhen aus einer Zeit vorbei, in der Kreuzberg das vielbesungene Zentrum des Häuserkampfes war, und besang in altbekannten Bildern das Aufeinandertreffen streikender Studenten von '89 mit gesichtslosen Bullen vor der Zahnmedizin (wer damals tatsächlich dabei war, fühlte sich dann doch ein wenig romantisiert). Bei dem sympathischen Dichter, dem es nicht unangenehm war, auch mal Böll gut gefunden zu haben, und der über die Gedichte von Theobaldy zum zunächst als peinlich („det galt als nicht seriös“) empfundenen Selberschreiben kam, „kriecht“ „die Dämmerung teigig ins Zimmer“. Seine resolute, leicht genervte Partnerin Katja Lange- Müller, deren Bachmannpreis auch schon eine Weile her ist, las fleißig gearbeitete, kurze Erzählungen, bei denen die Namen der Protagonisten ganz entsetzlich erfunden klangen, was wohl daran lag, daß es sich um Parabeln handeln sollte.
Kerstin Hensel wirkte zuweilen unfreiwillig komisch, wenn sie angestrengt nach „deiner Erlebnishaltung“ fragte oder neckisch „bitte noch einen brandheißen, total neuen Text“ vorgelesen haben wollte; meist gefiel sie sich als Kultur-Talk-Show-Masterin, für die Literatur der unhinterfragbar hohe Bereich ist, dem die Niederungen des profanen Alltags (auch in Gestalt des Publikums) gegenüberstehen. Ihr Standard-Fragekonzept, in dem soziale Wirklichkeit bezeichnenderweise nicht vorkam, wirkte recht anachronistisch: so als handle es sich bei den „jungen“ AutorInnen um eine rebellische Kindergeneration, die eine festgefahrene Vätergeneration zu morden trachtete. Immer wieder wollte sie wissen, wie die jungen Dichter zu den Älteren ständen, und war dann tatsächlich erstaunt, daß kaum einer zu antworten wußte, bis auf den 27jährigen Dichterlümmel Dirk von Petersdorf (das sind Namen!) aus Kiel. „Der Schelm unter den Postmodernen“ (FAZ) entblödete sich nicht, ganz ernsthaft in peinlich- pathetischen Versen, den „Autoren“ (damit meinte er tatsächlich Böll und Grass) zuzurufen: „Wacht auf, eure Konzeptionen sind fragwürdig!“ Ansonsten wollte der jungkonservative Doktorand, „den Menschen“ sagen „Ich habe keine Erfahrungen/ Ich flottiere doch auch nur/ auf einer Signifikantenkette“. So unbeschadet, narzistisch und bar jeden Talents präsentierte sich eigentlich nur noch die westdeutsche Autorin Dagmar Leupold („Eglharting“), die sehr stolz darauf ist, mal in New York gewohnt zu haben, und deren „Edmond“ (diese Namen!)- Roman eine stolze Auflage von 15.000 Exemplaren erreichte. Mit solchen Erfolgen können die anderen kaum konkurrieren.
Der Berliner Lokalstar und Twendichter Johannes Jansen, der sich nervös zum Gesamtkunstwerk ästhetisieren möchte und als einziger das Rauchverbot mißachtete, geht statt dessen mehr in die Breite und arbeitet in guter DDR-Tradition genreübergreifend. Der kräftige Hallenser Stadtschreiber Wilhelm Bartsch war bislang die einzige positive Überraschung. In seinen sehr sinnlichen, barock-überbordenden Gedichten gibt es tatsächlich noch eine Außenwelt.
Ein bißchen erschreckend an den bisherigen Abenden wirkte die gleichgültige Konfliktscheu, mit der die Dichter einander begegneten. Auch wenn sie die Texte des anderen zuweilen zum Kotzen fanden, schimpften sie erst nach der Veranstaltung; wie Johannes Jansen, der sich erst als alle gegangen waren, über die Texte seiner ehrgeizigen Partnerin Dagmar Leupold mokierte.
Lustig dagegen war ein graubärtiger Zuschauer, der jeden Abend darauf bestand, daß es „reaktionär“ sei, „in postmodernen Zeiten“ noch ein „Ich“ in der Lyrik zu verwenden, sich jedoch gerade den Dichter, der ununterbrochen von seinen „Ich“-Gefühlen, gar von seiner „Seele“ sprach (von Petersdorff), zum Helden auserkor. Detlef Kuhlbrodt
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