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Würdelos -betr.: "Bei Hagenbeck ist's auch schön", taz vom 22.2.94

Betr.: „Bei Hagenbeck ist's auch schön“, taz vom 22.2.94

Liebe taz-Redaktion,

Euer oben genannter Artikel stellt einen groben Mißgriff dar. Eine Redakteurin schreibt in locker-jovialem Ton über kleine Elfenbein-Figuren, die Frauen zeigen, die mit Pferden, Eseln und Steinböcken schlafen. Das Geschlechtsteil der Tiere ist in allen Einzelheiten zu sehen und der Gesichtsausdruck der Frauen zeigt Hingabe und Verzückung.

Das erinnert mich an die Diskussion, die im 19ten Jahrhundert mit Eifer geführt worden ist. Die Frage damals: „Ist die Frau ein Mensch? Oder ist sie ein Loch, das nur davon träumt, alles und jeden in sich aufzunehmen?“

Sannah Koch führt diese Diskussion ungewollt weiter. Sie versucht, Späße zu machen und tut so, als wenn die Frage, wo phantasievolle Erotik aufhört und menschenfeindliche Pornographie beginnt, überhaupt nicht beantwortet werden müßte. Leute, die sich damit beschäftigen, hält sie für verklemmte „Behördenmenschen“.

Sehr betroffen macht mich, daß im Artikel kein Wort darüber verloren wird, daß die Elfenbein-Figuren eine schwerwiegende Verletzung der Würde der Frauen darstellen. Da frage ich mich: Habt Ihr in der Redaktion überhaupt keine Wertmaßstäbe mehr? Macht Ihr Euch keine Gedanken darüber, was Ästhetik und Würde bedeutet? Was treibt eine Redakteurin der taz dazu, ihre eigenen Belange als Frau völlig zu vergessen und angesichts der mittlerweile beschlagnahmten Figuren einen Besuch in Hagenbecks Tierpark zu empfehlen (“Is' auch schön“)? Trotz des ironisch-scherzhaften Tons deutet das eindeutig auf die Lust der Frau an der Unterwerfung, an der reinen Opferrolle hin (die auch Journalistinnen haben können).

Diese Unterwerfung ist hinreichend bekannt, erz-reaktionär und gerade wieder völlig „in“.

Eins gebe ich noch zu bedenken: Sannah Koch schreibt, daß diese Figuren im Erotik-Museum nur Menschen über 18 Jahren zugänglich waren. Wenn Ihr aber ein derart widerliches Foto mit genauer Darstellung des Geschlechtsverkehrs von Frauen mit Tieren in der Zeitung abdruckt, ist es vielen Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren zugänglich und wird - so meine ich - Schaden anrichten. Was bezweckt Ihr damit?

Was soll ich von einer Zeitung halten, die einerseits kritische Artikel über Kinderpornos schreibt und andererseits mithilft, Fotos zu verbreiten, bei denen die Menschenwürde mit Füßen getreten wird?

Seit mehreren Jahren brachte ich als tägliche taz-Leserin Eurer Zeitung viel Sympathie entgegen. Fehler und Pannen, die wohl aus Zeitdruck und Streß entstehen, machten mir wenig aus. Selbst Oberflächlichkeiten wie die Kommentare von Florian Marten, die einfach arrogant sind und auch die peinlichen Besprechungen zeitgenössischer Musik (wie zuletzt Henzes Oper „Die Bassariden“) habe ich hingenommen.

Ich fand es immer wichtig, Euch - und sei es nur durch den täglichen Kauf der Zeitung - zu unterstützen. Bei allem Wohlwollen - bei mir ist jetzt die Grenze erreicht.

Fest steht: Ab morgen kaufe ich die FAZ.

Christina Reiland

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