: Einmal Retorte mit Sahne
■ „Golems Wohnung“: die Kunst verwandelt das Café Grün in ein Genlabor
„Dies ist keine Pfeife“: So erklärte Herr Magritte schon vor 50 Jahren den Betrachtern seines beliebten Pfeifengemäldes, daß Bild und Wirklichkeit nun wirklich zweierlei seien. Das war einmal. Wenn Künstler diese Frage heute wieder aufnehmen, dann deutet das u.a. darauf hin, daß man sich nicht mehr so sicher ist über die Unterscheide zwischen Schein & Sein. So stehen die beiden nun direkt nebeneinander in „Golems Wohnung“, z.Zt. in der Galerie des Café Grün eingerichtet: die künstliche Behausung eines immateriellen Kunstwesens, wo sich nichts mit Sicherheit behaupten läßt: „Ce n'est pas un appartement...?“
Ausgeheckt hat Peter Neumann hat diese Teufelei. Ein Vierteljahr lang sollen im Café Kunst und Künstlichkeit, Wahn und Wirklichkeit durcheinandergewirbelt werden. Als Gäste bringen Hermann Stuzmann, Gerd Garbe und Cordula Schmidt dem Golem Gastgeschenke mit: auf Einladung Neumanns, der die Grundausstattung besorgte, erweitern sie das Inventar um weitere Kunstgriffe, die sich alle entlang des Oberthemas hangeln: die Seltsamkeit von Leben und Kunst im Zeitalter ihrer digitalen (Re-)Produzierbarkeit.
So hat Neumann die ganze Bude erstmal, wie's heute Brauch ist, auf Video gebannt und anschließend ausdrucken lassen. Die Standbilder aber tapezierte der Künstler sorgsam wieder auf die Wände, auf daß Original & Fälschung aufs Verwunderlichste miteinander verschmelzen – jedenfalls beinahe. Denn der papierne Kunstraum sitzt leicht versetzt zum wahren Galerieraum, etwas schräg zur Realität quasi. Durch die ausgesparten Fenster scheint so noch etwas handfeste Wirklichkeit herein. Oder sowas ähnliches.
Die einfache Methode erweist sich als sehr wirkungsvoll: Schon möchte man die Hände ausstrecken nach der Klinke, um den schauerlichen Raum zu verlassen – da ist es doch nur wieder eine Illusion von Tür. Die Gastbeiträge variieren das Thema in Richtung „Klonen/Reproduzieren“: Weiße Schatten jagen übers dunkle Parkett; Versuchskaninchen trollen herum und reproduzieren sowohl einander als auch die Frage nach der Wiederholbarkeit des Einmaligen.
Das ist schon recht clever arrangiert, steckt voller Tücke und Hintersinn – auch, wenn es zum Dauerthema nicht viel Neues an Erkenntnis stiftet. Als weiterführend erweist es sich allerdings, das Thema nicht nochmals auf dem Bildschirm, per Video oder Computeranimation z.B., darzustellen: Der schöne Schein des Bildschirms hat bis jetzt noch jeden Betrachter entsprechender Installationen in seinen Bann gezogen und alle subversiven Bildideen überstrahlt. Das Monster ist mit seinen eigenen Mitteln nicht zu schlagen. Neumanns dünnes Papier aber trägt die Kritik: als feines Häutchen, das unsere Wirklichkeit fast ständig überlagert. So gleicht die Digitalästhetik tatsächlich ein wenig dem guten, alten Golem: ein hilfreiches Kunstwesen, der Menschheit stets zu Diensten, bis es am Ende alles abzufackeln droht. Thomas Wolff
Bis 4.4. im Cafe Grün, Fedelhören 73, tägl. 14-24 Uhr
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